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Kolumbien
Von Buenaventura nach Nuquí

Unterwegs auf dem zugemauerten Frachtschiff

Lesedauer: ca. 6 Minuten

Um zwei Uhr soll unser Boot ablegen, wir haben also noch gut zwei Stunden Zeit, um das Spektakel hier in aller Ruhe zu betrachten. Und letztendlich werden erst weit nach vier Uhr die letzten Waschmaschinen, Ziegelsteine, Eier und Bierkisten aufgeladen, bevor als letzter Passagier ein Hund zusteigt und das Boot startklar gemacht wird.

Irgendwie fühlen wir uns um hundert Jahre zurückversetzt, mindestens. Eine baufällige Halle im Hafengebiet, an deren Ende das Boot angelegt ist, welches stundenlang von zahlreichen Männern über wackelige Bretter beladen wird. Jeder Karton einzeln, größere Pakete werden aufgerissen und der Inhalt separat aufs Boot gebracht und verstaut. In Nuquí scheint gerade jemand ein Haus zu bauen, jedenfalls werden massenweise Ziegelsteine aufgeladen, oder besser gesagt: das Boot wird damit zugemauert, ich bin gespannt, wie man sich nachher darauf noch bewegen können soll.

Alles, was man in Nuquí und den Dörfern darum herum benötigt, muss über ein Boot herangeschafft werden. Ob Kartoffeln, Matratzen, Getränke, Gas oder Wellblech. Immer wieder fährt ein Fahrzeug in die Halle und liefert neue Waren an, die noch aufs Boot müssen. Dabei steht bereits jetzt so viel zum Aufladen bereit, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass das alles noch irgendwie aufs Boot passen soll.

Allerdings sei das kein Boot, sagt man mir, sondern ein Schiff. Ich kenne jetzt nicht die genaue Abgrenzung zwischen Boot und Schiff, erst recht nicht zwischen den zahlreichen spanischen Wörtern dafür, aber für mich ist ein Schiff etwas Größeres als das hier, ich bleibe also beim Boot.

Luxuskabine

Bevor noch das ganze Boot zugemauert und vollgestellt wird, gehen wir schon mal an Bord. Etwa zwanzig Stunden Fahrt erwarten uns, da hoffen wir auf ein klein wenig Komfort. Nun ja. Es gibt ein paar Kästen, auf die man sich setzen kann, sowie zwei wackelige Plastikstühle. Ich habe keine Fünf-Sterne-Unterbringung erwartet, aber als ich unsere Kabine sehe, bin ich trotzdem für einen kurzen Moment sprachlos: Ich hätte nicht gedacht, dass es möglich ist, auf einem derart kleinen, maximal 1,70 Meter hohen Raum zwei Dreier-Stockbetten unterzubringen. Aber immerhin haben wir großes Glück: die Kabine ist nur mit vier Personen belegt, wir haben also sogar noch Platz für unsere Rucksäcke. In dem Raum herrscht eine enorme Hitze, direkt darunter befindet sich der Maschinenraum. Als ich in der Nacht mein Bett ausprobieren möchte, fühle ich mich wie in einer Sauna. Und tatsächlich, eine Sauna könnte man aus diesem kleinen fensterlosen Raum wirklich gut machen, denke ich. Andererseits ist eine Sauna das letzte, was man bei den tropischen Außentemperaturen gerade braucht.
Immerhin gibt es auf dem Boot sogar eine Toilette, man muss nur über Benzinkanister und Wasserkübel klettern, um zur Kloschüssel zu kommen. Gut, dass mittlerweile fast jedes Handy eine Taschenlampe eingebaut hat, denn es ist ziemlich finster dort: Wegen eines Kurzschlusses gibt es keinen Strom und somit auch kein Licht an Bord.

Unsere Familienplanung: Fünfzehn Kinder

Jedenfalls verlassen wir vor dem Ablegen nochmal kurz das Boot, um bei einem Kiosk um die Ecke ein paar Bier zu kaufen, für uns und unsere Mitreisenden. Wir sind die einzigen ausländischen Passagiere, und entsprechend neugierig sind alle, was wir hier in Kolumbien so machen. Gesprächsstoff gibt es genug.

Heute beim Mittagessen, in einem kleinen Restaurant gegenüber der Lagerhalle, kam mir der Gedanke, dass ich mir vor meiner nächsten Südamerika-Reise ein zumindest rudimentäres Fußballwissen aneignen müsste: auch wenn einige hier nicht allzu viel von der Welt wissen, sobald es um Fußball geht, wissen sie alles - und können überhaupt nicht nachvollziehen, dass ich sogar bei einem Fachgespräch über die deutsche Bundesliga nicht einsteigen kann.
Aber andererseits ist der Dialekt an der Pazifikküste für mich so schwer verständlich, dass ich sowieso kaum eine vernünftige Unterhaltung zustande bringe. Egal, die Menschen hier unterhalten sich trotzdem gerne mit uns.

Niemand mag glauben, dass wir keine Kinder zusammen haben - so lang, wie wir schon zusammen sind, müssten wir mindestens neun Kinder haben. Zwölf, rechnet ein anderer anhand der Anzahl seiner eigenen Kinder hoch. Fünfzehn, erwidert ein weiterer und zieht als Beispiel eine Familie aus seinem Dorf heran.

Siebenundzwanzig Stunden Bootsfahrt

Die Zeit vergeht recht angenehm. Nach dem Sonnenuntergang fahren wir durch eine helle Vollmondnacht. Etwas später fängt es heftig zu regnen an und in der Sauna-Kabine wird es etwas kühler, das nutze ich, um wenigstens ein wenig zu schlafen.

Ein ruhiger Morgen begrüßt uns. Um das Boot herum schwimmen Hunderte an Delphinen und springen mitunter meterweit in die Höhe. Filmreif.

Nach etwa zweiundzwanzig Stunden Bootsfahrt kommen wir in die Sichtweite unseres Ziels Nuquí. Allerdings soll es nun noch ein paar Stunden dauern, bis wir tatsächlich ankommen: Kleine Schnellboote fahren von den diversen Dörfern zu unserem Boot, Waren werden mitten auf dem Meer umgeladen, dann geht es wieder ein Stück weiter. Oder auch nicht, wenn wir darauf warten müssen, dass eines der Schnellboote seine Ladung im Dorf abliefert und wieder zurückkommt, um erneut beladen zu werden.

Neue Fahrgäste steigen zu, andere steigen aus, wie das Paar aus Medellin, mit dem wir die Kabine geteilt haben und die eigentlich Cousine und Cousin sind.
Genauer gesagt wird nicht ein- oder ausgestiegen, sondern von einem Boot zum anderen umgestiegen.

Die Zeit verbringen wir damit, die sich vor uns präsentierende Landschaft zu bestaunen. Wie aus einem Bilderbuch. Strände voller Palmen, direkt dahinter dichtes Grün, das sich auf Berge hinauf zieht. Wenn das Ganze aus der Nähe auch so schön ist, dann hat sich die lange Fahrt hierher definitiv gelohnt.

Gegen zwölf Uhr mittags würden wir in etwa ankommen, hat man uns gesagt, gegen sieben Uhr am Abend kommen wir dann tatsächlich an, also fast pünktlich, sozusagen.

Land:Kolumbien
Ort:Von Buenaventura nach Nuquí
Reisedatum:01.03.2018 - 02.03.2018
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:01.07.2018
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