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Kolumbien
Palomino - Bogotá - Stuttgart

Die Flucht aus Kolumbien

Lesedauer: ca. 21 Minuten

„Hier in Kolumbien ist Corona-mäßig noch alles recht entspannt“, hatte ich kürzlich geschrieben, „aber das kann sich auch sehr schnell ändern“. Selten habe ich mit einer Vorhersage derart ins Schwarze getroffen.

Aus Deutschland kommen derzeit die unglaublichsten Nachrichten: Alle Bars sind geschlossen, das öffentliche Leben wird heruntergefahren, das Zusammentreffen mehrerer Personen ist verboten, Restaurants sind nur noch tagsüber geöffnet. Unvorstellbar.

Die Corona-Zertifizierung

Da erscheint es nun wirklich harmlos, was hier in Kolumbien zur Eindämmung der Pandemie beschlossen wurde: Alle Personen, die aus China, Spanien, Italien und Frankreich einreisen, werden vierzehn Tage lang in Quarantäne gesteckt, bevor sie im Land weiterreisen dürfen. Und somit werden zukünftig kaum mehr neue Franzosen hier ankommen, zum Beispiel, aber das wird die meisten eher freuen, abgesehen natürlich von den Franzosen.

Die Anzahl der Corona-Fälle in Kolumbien ist so gering, dass eine große Tageszeitung in einem Online-Artikel die Geschichten aller betroffenen Personen detailliert schildert. Zwei Schwestern sind infiziert, weil eine der beiden aus Italien zurückgekommen ist. Einer kam gerade von einer Geschäftsreise aus China. Und einige Fälle betreffen Ausländer, so beispielsweise eine US-Amerikanerin, die in Cartagena von einem Kreuzfahrtschiff in eine dortige Klinik gebracht wurde. Alles Einzelfälle. Dass dies irgendwelche Auswirkungen auf das Land insgesamt oder auf uns als Touristen haben könnte, das ist kaum anzunehmen.

Und somit können wir auch noch über Corona lachen. Und bestellen erstmal ein Coronita, ein Corona-Bier in einer kleinen 0,2-Liter-Flasche.
Unsere Hände waschen wir in einem Corona-Waschbecken: Offenbar gibt es in Kolumbien eine Einheitsmarke für sanitäre Einrichtungsgegenstände, und die heißt ausgerechnet „Corona“.
Auf einer Kloschüssel befindet sich ein Aufkleber: „Zertifizierte Corona-Qualität.“
Was kann da also schon passieren?
Wie bereits erwähnt, noch lachen wir darüber. Noch.

Erstmal ausruhen

Im Moment haben wir aber ein ganz anderes Problem: Nadine hat ein kaputtes Bein, und deshalb mussten wir einige Zeit in den Krankenhäusern der Küstenstadt Santa Marta verbringen.

Und nun wollen wir wegen dieses Beins zunächst ein paar Tage in dem nahegelegenen Strandort Palomino bleiben, bevor wir weiterreisen. Wir hoffen, dass dieses Mal dort keiner von uns von einer Kokosnuss erschlagen wird.

Besorgniserregende Nachrichten

Am nächsten Tag gehen wir zum Mittagessen in unser Stamm-Restaurant in Palomino, das die Besitzer eines Obststands zusammen mit ihren unzähligen Kindern betreiben. Der Kellner dort ist ein Teenager mit dem Namen Kelvin, und der spricht ein derart genuscheltes Spanisch, dass ihn niemand versteht. Es gibt aber eine Ausnahme, und zwar Nadine. Aus mir völlig rätselhaften Gründen gelingt es ihr jedes Mal, aus einem genuschelten „Awawwwwwww“ herauszuhören, was er damit jeweils meint. Faszinierend.

Zu uns an den Tisch setzt sich ein frisch in Palomino angekommener Deutscher, der in diesem Touristenort ein einigermaßen authentisches Restaurant sucht. Da wäre er hier richtig, versichern wir ihm, während wir bei Kelvin unser Essen bestellen. „Awawwwwwwwwww“, fragt Kelvin nach. „Sí, por favor“, antwortet ihm Nadine.

Unser deutscher Tischgenosse übermittelt uns die neuesten Nachrichten, die er unterwegs aufgeschnappt hat: Kolumbien würde wegen Corona demnächst seine Grenzen komplett schließen, und ab Montag wären auch die internationalen Flughäfen gesperrt, keine Flüge würden mehr nach Kolumbien hinein und aus Kolumbien heraus gehen.

Oha.

In der Warteschleife

Nadine möchte ungern auf unbestimmte Zeit in Kolumbien festsitzen, so gut es ihr hier auch gefällt.
Also verbringt sie die nächsten zwei Tage mehr oder weniger ausschließlich am Telefon, um zu versuchen, uns einen Flug aus Kolumbien heraus zu buchen. Fünf Stunden lang erträgt sie die Warteschleifenmusik der Hotline. Ein beeindruckendes Ausharrungsvermögen.

Am Ende hat sie tatsächlich zwei Plätze in einem der letzten Flüge ergattert, die Kolumbien in Richtung Europa verlassen werden. Der Flug geht von Bogotá nach Amsterdam, mit einer Zwischenlandung in Cartagena.

Eine Zwischenlandung in Cartagena? Wir befinden uns in der Nähe Cartagenas, und somit wäre es ziemlich unsinnig, wenn wir erst rund tausend Kilometer nach Bogotá reisen würden, um dort in ein Flugzeug einzusteigen, das uns wieder die gesamte Strecke zurück bringt.

Aber leider ist da nichts zu machen, bekommt Nadine erklärt: Sobald die Hotline-Mitarbeiterin mit der Umbuchung beginnen würde, wären unsere Plätze sofort weg, so groß ist die Warteschlange an anderen Passagieren, die auch einen Platz in diesem Flugzeug haben möchten.

Rettung vor dem Ertrinken

Um die Sache mit Bogotá wollen wir uns später kümmern und gehen erstmal an den Strand. Angeblich ist dieser durch das Militär abgeriegelt worden, warum auch immer, aber als wir dort ankommen, ist von dem Militär nichts zu sehen. Wir gehen ein gutes Stück den Strand entlang bis zu einem mit vielen schattenspendenden Bäumen und Palmen bewachsenen Grundstück, und da breiten wir unsere Handtücher aus. Vermutlich ist das hier ein Privatgelände, aber die Gebäude darauf sehen so heruntergekommen aus, dass der Besitzer wohl schon längere Zeit nicht mehr hier war.

Im Meer merke ich, wie ich von der Strömung weggezogen werde. Ich traue mich nicht, weiter hinein zu gehen, die Strömung erscheint mir wirklich viel zu heftig. Aber zum Abkühlen reicht es auch so.

Ein paar Meter vor mir ist noch jemand im Wasser, vermutlich ein Kolumbianer, ansonsten ist hier niemand.
Und plötzlich hält mir dieser Kolumbianer seine Hand entgegen und signalisiert mir, dass er Hilfe braucht.

Scheiße, denke ich: Ich traue mich nicht, die fünf Meter weiter zu ihm zu schwimmen, die Strömung ist zu stark, ich befürchte, dann auch nicht mehr zurückzukommen.

Uns beiden ist wenig geholfen, wenn wir am Ende zusammen ertrinken. Wir brauchen jemanden mit einem Surfbrett, denke ich, und normalerweise ist der Strand voll davon. Also schnellstmöglich raus aus dem Wasser, ich renne über den Strand - und rufe nach Hilfe. Einige Einheimische sind hier, aber niemand hat die Situation bisher erfasst. Erst jetzt. Einige springen ins Wasser, um zu helfen, aber niemand schafft es zu ihm hin.

Endlich kommt jemand mit einem Surfbrett.
Er schafft es.
Gerettet!

Aber jetzt ist einer der ersten Helfer zu weit im Meer, er kommt nicht mehr zurück. Bei dem Versuch, auch ihn zu retten, gerät nun auch der mit dem Surfbrett und der bereits Gerettete wieder zu weit rein. Jetzt sind alle drei von der Strömung erfasst und schaffen es nicht zurück.
Die Einheimischen am Strand brüllen Anweisungen, in welche Richtung die drei schwimmen sollen, weil dort die Strömung schwächer wird. Aber: Keine Chance.

Derweil rennt Nadine in beeindruckender Geschwindigkeit den Strand entlang Richtung Dorf, zur Surfschule, um weitere Hilfe zu holen.

Die Ersten kommen mit ihren Surfbrettern an und springen ins Wasser.
Letztendlich schaffen es alle zurück an den Strand.
Nichts ist passiert.

Uff.

Das Wiedersehen

Zur selben Zeit macht sich ein Pärchen auf den Weg nach Palomino und dort zum Strand, das eigentlich längst unterwegs nach Nicaragua hätte sein sollen: Meine Schwester und ihr Freund.
Wir haben einige Zeit zusammen in Kolumbien verbracht und uns dann vor ein paar Tagen in Santa Marta voneinander verabschiedet.

Aber nun sind sie wieder hier: Sie haben kurzfristig alles abgesagt, ihren Flug, ihren gesamten Aufenthalt in Nicaragua. Während die ganze Welt mehr oder weniger panisch versucht, dem Corona-Virus irgendwie zu begegnen, wird in Nicaragua schlichtweg gar nichts unternommen. Vermutlich solange, bis es dort richtig kracht. Und während einer solchen Situation in einem Land zu sein, das als das ärmste der westlichen Welt zählt, das von einem autoritären Machthaber eher schlecht als recht regiert wird, das über keine vernünftige eigene Trinkwasserversorgung verfügt und dessen Hauptstadtflughafen international kaum angebunden ist, das wäre vermutlich wirklich nicht die allerbeste Idee.

Kolumbien ist im Vergleich zu Nicaragua ein gut organisiertes Land, stabil, sicher. Auch wenn diese Zuschreibungen aus deutscher Sicht womöglich etwas abwegig erscheinen mögen.

Jedenfalls haben die zwei ausreichend Bier mitgebracht, und so verbringen wir den Rest des Tages ziemlich entspannt hier am Strand.

Panik

Und mit unserer recht entspannten Grundhaltung sind wir sowieso der Gegenpol zu den meisten anderen Touristen hier in Palomino. Panik kommt auf. Da wohl kaum jemand sonst es wie Nadine durchhält, fünf Stunden in einer Hotline-Warteschleife auszuharren, hat auch kaum jemand sonst einen Rückflug.

Und selbst diejenigen, die eigentlich in Kolumbien bleiben möchten, werden langsam unruhig. Jede Region und jede Stadt führt nun völlig unkoordiniert irgendwelche Anti-Corona-Maßnahmen ein, und es ist nicht abzusehen, wohin das noch führen wird.

Hier in Palomino dürfen seit heute keine Bars mehr öffnen, zum Beispiel. Als wir abends zum Kiosk gehen, wird dieser von der Polizei bewacht, um sicherzustellen, dass kein Bier verkauft wird.

Wir fragen nach, ob wir später, wenn die Polizei wieder weg ist, Bier kaufen können, und bekommen ein Kopfnicken als Antwort. Wenigstens das. Und tatsächlich ist der Bier-Kühlschrank in dem Kiosk auch die nächsten Tage immer gut gefüllt, auch wenn das mittlerweile herausgedrehte Licht offiziell signalisieren soll, dass er gar nicht mehr in Betrieb ist.

Den nächsten Vormittag verbringen wir am Strand, weit entfernt vom Ort. Als wir später zurückgehen, werden wir unterwegs mehrmals aufgehalten: Von der Polizei, von der Einwanderungsbehörde, vom Militär. Alle sind hier. Und möchten sicherstellen, dass niemand mehr den Strand betritt. Warum auch immer, denn meines Wissens nach verbreitet sich das Corona-Virus nicht schwerpunktmäßig im Meer. Und der Strand ist hier so weitläufig, dass vermutlich jeder noch verbleibende Tourist einen Kilometer Strand für sich alleine hat, die Ansteckungsgefahr ist also auch außerhalb des Wassers eher gering.

Immerhin glauben uns die Beamten, dass wir schon länger als zwei Wochen in Kolumbien sind, wir müssen also nicht in Quarantäne. Es bleibt bei der Ermahnung, den Strand zukünftig nicht mehr zu betreten. Und auch keine Nationalparks. Und keine Bars, keine Billardsalons. Und eigentlich sollten wir sowieso ausschließlich in unserem Hostel bleiben, lediglich etwas zu essen kaufen dürfen wir. Und wir dürfen uns auf den Weg in unser Heimatland machen, das wäre im Moment noch möglich. Sagt man uns.

Es wird immer undurchschaubarer. Über die nächstgelegene Stadt, Santa Marta, wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, erfahre ich. Mir ist zwar nicht ganz klar, warum die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus nach 18 Uhr höher ist als vorher, vor allem, wenn man berücksichtigt, wie eng es tagsüber auf den Märkten und Straßen zugeht, aber natürlich bin ich kein Virologe.

In der Hauptstadt Bogotá bereitet man sich derweil auf den Extremfall vor. Im Moment weiß niemand, wie weit die Einschränkungen aufgrund der Corona-Situation noch gehen werden müssen, also will man einfach alles ausprobieren. Und so wird ab Freitagmorgen in der gesamten Stadt mit ihren rund acht Millionen Einwohnern testweise eine absolute Ausgangssperre für drei Tage verhängt. Obwohl es im Moment noch keinen Anlass dazu gibt. Nur um zu sehen, was passiert.

Das ist ähnlich pragmatisch wie der Ansatz in einem Nachbarland Kolumbiens, nämlich Panama, in dem die Anzahl der Menschen auf der Straße einfach dadurch um die Hälfte reduziert werden soll, indem an dem einen Tag nur Männer und an dem anderen nur Frauen auf die Straße dürfen. Die Kontrolle würde hierbei viel leichter fallen als bei jeder anderen Regelung, ist das Argument. Und das ist tatsächlich nur schwer von der Hand zu weisen, auch wenn es möglicherweise den einen oder anderen Grenzfall geben könnte.

Jedenfalls wird die Situation hier in Kolumbien immer extremer. Innerhalb von wenigen Tagen. Wer weg kann, der geht. In Palomino sieht man kaum noch Menschen, und wenn, dann sind das rucksackbepackte Touristen, die den Weg hoch zur Landstraße gehen, um Palomino zu verlassen. Ansonsten ist es totenstill hier. Und das in dem Ort, den ich kürzlich noch als den „explodierenden Strandort“ bezeichnet habe, weil es hier so voll ist und immer voller wird, solange, bis der Ort zwangsläufig explodieren wird. Nun ja. Jetzt ist er leer.

Wasserpumpen, Dieselgeneratoren und Kröten

Der einzige Ort in Palomino, an dem es noch laut ist, befindet sich direkt vor unserem Zimmer: Dort wird ein Rohr vierzig Meter in den Boden gebohrt, um an Grundwasser zu kommen. Die Geräte dazu sehen aus wie aus einer längst vergangenen Zeit. Und der Dieselgenerator hüllt unser Zimmer in eine dichte Abgaswolke.

Auf der Wiese um die Baustelle herum haben sich einige kleine Tümpel gebildet, und in einem dieser Tümpel hat sich nun eine Kröte eingenistet. Nachts gibt sie jede Minute ein lautes „Wooop“ von sich und hält uns damit wach.

Aber trotz dieser Ärgernisse sind wir nicht ganz unglücklich über diese Baustelle. Schließlich ist es beruhigend zu wissen, dass ausgerechnet unsere Unterkunft bald über eine eigene Wasserversorgung verfügen wird. Man weiß schließlich nicht, was noch kommen wird.

Denn so, wie es im Moment aussieht, haben wir zwar einen Flug nach Europa, kommen aber nicht nach Bogotá, um diesen Flug nehmen zu können. Die Website der Fluggesellschaft Avianca ist überlastet und die Hotline nicht erreichbar. Und vor dem Ticketbüro in Santa Marta hat sich eine kilometerlange Schlange gebildet, bisher hat es niemand geschafft, dort ein Ticket zu buchen, wird uns einstimmig berichtet. Und viele Flüge ab Santa Marta sind gestrichen worden, sehen wir im Internet.

Eine Fahrt mit dem Bus ist keine Alternative. Und zwar nicht nur wegen der großen Entfernung, sondern vor allem deshalb, weil gar keine Busse fahren: Aufgrund der Test-Ausgangssperre in Bogotá sind auch die Busbahnhöfe geschlossen, es dürfen also keine Busse mehr Bogotá anfahren.

Der Elefand

Manche hier gestrandete Deutsche haben es mittlerweile aufgegeben. Oder haben es erst gar nicht probiert. Und hoffen nun darauf, im Zuge der groß angekündigten Rückholaktion der deutschen Bundesregierung ausgeflogen zu werden. Dabei stellen sich viele das recht einfach vor. Und zeitnah. Und zudem kostenlos. Und werden nun erstmal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, und zwar vom Elefand.

Der Elefand, das ist die „Elektronische Erfassung von Deutschen im Ausland“. Wie auch immer diese Abkürzung zustande gekommen ist, jedenfalls muss man sich dort eintragen. Das Problem ist, dass deutsche Behörden und Internet-Angebote erfahrungsgemäß nicht gut zusammen passen. Und somit ist es schlichtweg nicht möglich, sich in diese Liste einzutragen.

Das neue Gesprächsthema in Palomino ist nun, wer es wie weit auf der Elefand-Internetseite geschafft hat, bevor der Server wegen Überlastung abgebrochen hat.
Vorsorglich informiert die deutsche Botschaft, dass es keinen Sinn ergibt, sich stattdessen per Mail oder anderweitig zu melden, da auch die Mitarbeiter der Botschaft überlastet sind.

Gerade fährt ein Moped mit einem Lautsprecher durch Palomino. Über diesen Lautsprecher wird in Spanisch und in Englisch verkündet, was ja bisher schon als Gerücht kursierte, nämlich dass ab Montag für zunächst rund zwei Monate keine Ausreisen aus Kolumbien mehr möglich sein werden. Man solle sich daher unverzüglich mit seiner Fluggesellschaft oder seiner Botschaft in Verbindung setzen. Sehr witzig.

Eine dringende Steuererklärung

Die Nachrichten aus Deutschland sind jedoch auch nicht sehr beruhigend. Die Leute dort scheinen durchzudrehen und nur noch am Kaufen von Nudeln und Klopapier zu sein, warum auch immer. Anscheinend muss man sich schon drei Stunden für eine Packung Klopapier anstellen, wenn es überhaupt welches gibt.

Bayern hat eine Art Ausgangssperre eingeführt. Und auch wenn der eine oder andere vermutlich nicht ganz unglücklich darüber ist, dass die Bayern nun eingesperrt sind, ist dennoch der Gedanke sehr beunruhigend, dass so etwas auch uns blühen kann.
Sollen wir also vielleicht doch lieber hier in Kolumbien bleiben? Den Kolumbianern traue ich eher zu, mit einer Krisensituation gelassen umzugehen, als den Deutschen. Schließlich hat man hier ausreichend Erfahrung mit Krisen. Während der Deutsche jetzt schon in Panik verfällt und Klopapier hamstert.

Und während wir darüber nachdenken, hat sich mal wieder eine Traube an weiteren Touristen um uns gebildet, um sich mit uns über die aktuelle Situation zu beratschlagen. Ein Ire hat gerade ein halbe Stunde mit seinem Botschafter telefoniert, erzählt er uns. Und eine junge Österreicherin möchte lieber hierbleiben, aber ihre Eltern machen sich Sorgen und haben ihr einen schweineteuren Rückflug gebucht. Andere möchten zurück, wissen aber nicht, wie.

Und eine Deutsche dreht völlig durch, sie schreit uns an, sie könne auf keinen Fall hier bleiben und müsste dringend zurück nach Deutschland, schließlich wäre sie selbstständig und müsse nun eine Steuererklärung machen.

Aha. Eine Steuererklärung also.

Am nächsten Tag sehen wir diese selbstständige Deutsche wieder, vollgepackt mit Einkaufstüten. Hamsterkäufe. Die Deutschen machen das also auch in Kolumbien.

Kolumbien wird geschlossen

Einen Tag darauf lese ich in einer kolumbianischen Tageszeitung, was Präsident Duque aufgrund der Empfehlungen von Wissenschaftlern nun für das Land plant:

In ein paar Tagen wird im ganzen Land eine verpflichtende Quarantäne für alle verordnet. Niemand darf mehr raus, es sei denn, es ist zwingend nötig. Der Flug- und Busverkehr wird eingestellt. Militärposten sperren die Landstraßen ab. Die Grenzen bleiben bis auf weiteres geschlossen.

Wenn wir also zurück nach Deutschland wollen, dann jetzt. Ansonsten wären wir hier auf unbestimmte Zeit gefangen.

Nachts in Bogotá

Es ist kaum zu glauben, aber wir haben tatsächlich noch einen Flug nach Bogotá ergattern können. Und wie durch ein Wunder wurde ausgerechnet dieser Flug nicht kurzfristig annulliert, im Gegensatz zu den meisten anderen Flügen. Und so kommen wir nun mitten in der Nacht in Bogotá an.

Zwar haben wir eine Unterkunft vorgebucht, aber aufgrund von Umständen, deren Schilderung hier zu weit führen würde, stehen wir nun trotzdem auf der Straße, und zwar mitten in Fontibón, einem Stadtteil Bogotás in der Nähe des Flughafens. Normalerweise ist hier einiges los, an jeder Ecke gibt es Restaurants und Essensstände, aber heute ist alles geschlossen und dunkel, wir sind die einzigen auf der Straße. Ausgangssperre.
Nicht einmal Taxis gibt es. Also gehen wir die paar Kilometer zum nächsten Hotel zu Fuß durch diese dunkle Geisterstadt.

Wirklich wohl fühlen wir uns nicht. Ganz im Gegenteil. Die wenigen Gestalten, denen wir begegnen, machen keinen allzu vertrauenswürdigen Eindruck. Strammen Schrittes gehen wir weiter.

Wir müssen durch eine Unterführung. Das Licht flackert. Wie in einem schlechten Film.
Aber außer uns ist hier niemand, nicht einmal jemand, der uns überfallen könnte.
Wir gehen weiter.

Und dann fährt die Polizei vorbei und hält neben uns an. Was wir hier wollen, werden wir gefragt, schließlich herrscht eine Ausgangssperre!
Wahrheitsgemäß antworten wir, dass wir unterwegs zu unserem Hotel sind. Gut, bekommen wir als Antwort, noch drei Blöcke geradeaus, dann nach links, schönen Abend noch.

Uff.

Wir kommen am Hotel an.

Zum Flughafen

Am nächsten Tag wollen wir zu Fuß zum Flughafen gehen, die fünf Kilometer werden uns gut tun, bevor wir eine Ewigkeit im Flugzeug sitzen werden. Aber das ist wegen der Ausgangssperre verboten, warnt uns der Mitarbeiter des Hotels, und wenn die Polizei uns sehen würde, würden wir verhaftet werden.

Wir vertrauen darauf, dass wir auch dieses Mal nicht verhaftet werden, und gehen los.

Gespenstisch. Sogar mitten am Tag.

Eine südamerikanische Großstadt ohne den infernalischen Verkehrslärm, ohne Tausende an Menschen unterwegs, ohne die omnipräsente Musik und ohne die in die Welt gebrüllten Angebote der Verkäufer.

Zurück

Wir haben damit gerechnet, dass bei all dem Chaos und der täglich neuen, regional unterschiedlichen Anti-Corona-Maßnahmen unser Rückflug nach Europa garantiert nicht klappen wird. Und haben uns schon in Santa Marta oder Cartagena oder Bogotá stranden sehen, mühsam versuchend, wieder nach Palomino zurück zu kommen.

Und so sind wir völlig verblüfft, das alles reibungslos klappt. Keine Sekunde Verspätung. Keine Schlange, kein Warten, nirgends. Unser Flug scheint der einzige zu sein, den es noch gibt. Sonst ist alles wie ausgestorben.

Als wir in Amsterdam ankommen, werden wir von den sich langweilenden Zollbeamten herzlich begrüßt.

Kurz darauf geht es weiter nach Stuttgart, auch das völlig problemlos. Und die S-Bahn dort vom Flughafen in die Stadt fährt nur für uns alleine.

In der Baustelle

Und dann landen wir in einer Baustelle.

Für die Zeit unserer Reise haben wir Handwerker organisiert, die einige Renovierungsarbeiten in unserer Wohnung durchführen. Und da wir jetzt viel zu früh zurückgekommen sind, ist das alles natürlich noch nicht fertig.

Wir haben also keine Küche, keine Stühle, keinen Tisch - und alle Restaurants und Cafés sind wegen Corona geschlossen. Ganz toll.

Ich denke an Kelvin und den riesigen Suppentopf vor dem Obststand-Restaurant in Palomino. Awawwwwwwww.

Land:Kolumbien
Ort:Palomino - Bogotá - Stuttgart
Reisedatum:14.03.2020 - 22.03.2020
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:13.04.2020
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