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Nicaragua
San Juan del Sur / Playa Maderas

Die alkoholfreie Stadt

Lesedauer: ca. 8 Minuten

San Juan del Sur gilt als die Touristenhochburg Nicaraguas. Und genau so sieht es hier auch aus: Eng an eng gebaut befinden sich unzählige Restaurants, Bars, Touranbieter und Hostels. Wer so etwas mag, der wird sich hier wohlfühlen.

So ganz genau wissen wir nicht, was wir hier eigentlich wollen. Aber wenn man schon mal am Pazifik ist, dann sollte man auch darin baden, denken wir, und laut Reiseführer gibt es in der Nähe von San Juan del Sur zahlreiche schöne Strände. Deshalb sind wir hierher gefahren.

Wir irren planlos durch die Stadt und suchen eine Unterkunft, die uns einigermaßen gefallen könnte. Erfolglos.
An der Bushaltestelle spricht uns ein Kanadier an, der uns ein Hostel empfiehlt. Also gehen wir dorthin.

Das Hostel ist ein wenig chaotisch: Man geht neben einem Tätowierstudio durch ein Ladengeschäft, in dem unter anderem Pizzas angeboten werden, ein alter Holztisch darin stellt die Rezeption des Hostels dar, dann gelangt man in einen Bereich mit zwei nicht genutzten Theken und ihren Barhockern, rechts vor einem Sofa ist der Durchgang zur Küche mit einer heftig stinkenden Kühltruhe darin, geradeaus führt eine Metalltreppe an einem Käfig vorbei nach oben, und man sollte diese Treppe auch nehmen, wenn man nicht in einer Privatwohnung landen will, die ohne eine Abtrennung direkt dahinter folgt. Oben befinden sich in einer gewagten Stahl- und Holzkonstruktion auf zwei weiteren Etagen die Zimmer, dazwischen steht ein Tisch mit ein paar Stühlen.

Alkoholfrei

Wir haben nun nicht mehr viel Zeit: Am Sonntag finden in Nicaragua Wahlen statt - und das bedeutet, erfahren wir, dass ab Freitag um sechs Uhr abends kein Alkohol mehr verkauft werden darf. Das ganze Wochenende über. In keiner Bar gibt es mehr etwas Alkoholisches zu trinken.

Prinzipiell begrüße ich die Idee, dafür zu sorgen, dass die Wähler nüchtern an die Wahlurnen gehen. In letzter Zeit kann ich mir manche Wahlergebnisse, auch und insbesondere in Deutschland, nur dadurch erklären, dass die Wähler zuvor am Stammtisch zu tief ins Glas geschaut haben.

Aber andererseits betrifft dieses Alkoholverbot auch uns, was mir nun weniger gefällt. Vermutlich ist Trinken das Einzige, was man hier in San Juan wirklich gut machen kann - und genau das geht nicht, während wir hier sind. So ein Mist.

Es ist nun bereits halb sechs. Der Laden um die Ecke verkauft schon keinen Alkohol mehr. Wir finden dann einen anderen Laden, der zwar eigentlich noch Alkohol verkauft, aber bereits nahezu leergekauft ist. Aber immerhin gibt es noch ein paar Dosen Victoria-Bier und zumindest weißen Rum. Wir kaufen diese Reste.

Dann machen wir uns auf die Suche nach einem Abendessen und haben Glück: direkt gegenüber unserem Hostel gibt es einen Grillstand mit gutem und preiswertem Essen.

Den Abend verbringen wir damit, mit Hilfe von Internet und Reiseführer herauszufinden, wie wir hier schnellstmöglich wieder weg kommen. Aber so ganz klar wird uns nicht, ob und wo es an den Stränden in der Nähe freie Unterkünfte gibt.
Egal, wir werden morgen einfach irgendeinen Shuttlebus zu einem der Strände nehmen und schauen, was sich dort ergibt. Notfalls fahren wir eben wieder zurück.

Playa Maderas

Am nächsten Morgen finden wir nach kurzer Suche das Hostel, das laut Reiseführer Shuttlebusse zu diversen Stränden anbietet, und keine Stunde später sind wir auch schon unterwegs zur Playa Maderas.

Direkt am Strand befindet sich eine Bar. Über dieser Bar, durch eine Holzdecke getrennt, gibt es ein paar Zimmer und einen überdachten Bereich mit Hängematten.

Eines dieser Zimmer ist frei, und dieses Zimmer nehmen wir dann gleich. Fünfundzwanzig US-Dollar für ein Doppelzimmer direkt am Strand, das erscheint uns nicht allzu teuer, vor allem in dieser Touristenhochburg rund um San Juan. Dennoch werden wir im weiteren Verlauf dieser Reise noch feststellen, dass es Vergleichbares auch deutlich preiswerter gibt.

Die Atmosphäre hier ist sehr entspannt. In der Bar läuft angenehme Musik. Die meisten Gäste hier sind Surfer, und ich finde, es gibt deutlich unangenehmere Menschen als junge Leute, die ihre Zeit damit verbringen, auf die richtige Welle zu warten und dabei Spaß zu haben.

Die Welt ist ein Dorf

Einen Münchner, den wir kürzlich in einem Bus kennengelernt haben, treffen wir hier wieder, und in unserem Nachbarzimmer zieht das französisches Pärchen ein, das bereits in Granada neben uns gewohnt hat. Und es wird nicht das letzte Mal sein, dass wir den beiden auf dieser Reise begegnen. Nicaragua ist wirklich kein allzu großes Land.

Aber eigentlich spielt es keine Rolle, wie groß ein Land ist, denn irgendwie läuft man sich auf Reisen immer wieder über den Weg. Einen Hostelnachbarn aus Uruguay begegnen wir in Argentinien wieder, einer Mitschülerin meiner Spanisch-Sprachschule in Costa Rica laufe ich in Kolumbien über den Weg, und in dem selben kolumbianischen Ort, nur ein Jahr später, treffen wir zufällig eine Französin wieder, die wir auf dieser Nicaragua-Reise kennengelernt haben. Und so weiter.

Calala mit Rum

Gut, dass wir gestern noch eine Flasche Rum ergattern konnten: An der Bar gibt es leckere frische Fruchtsäfte, und diese kann man ganz hervorragend mit unserem Rum verfeinern.

Mitunter hören die Früchte in Nicaragua auf andere Namen als das Spanischwörterbuch behauptet, so dass man sich am besten einfach durchprobiert. Sehr lecker mit Rum schmeckt jedenfalls der Saft der Calala.

Ein Stück vom Strand entfernt gibt es einen kleinen Laden, der eine beachtliche Auswahl an Alkohol im Angebot hat. Die Flaschen sind auf einem Brett aufgereiht und darüber steht ein Schild: „Der Verkauf von Alkohol ist verboten“

Ich stelle mir vor, wie dieses Arrangement auf mich wirken würde, wenn ich noch nichts von dem temporären Alkoholverbot an diesem Wochenende gehört hätte.

Allerdings wird das Alkoholverbot hier am Strand deutlich laxer gehandhabt als in San Juan. Man kann relativ problemlos ein Bier bekommen, man muss nur die Flasche in Papiertücher einwickeln, damit niemand sieht, dass man Alkohol trinkt. Oder man muss im Restaurant die Flasche statt auf den Tisch einfach unter den Tisch stellen, das scheint ebenfalls den Anforderungen des Alkoholverbots zu genügen.

Der Comedor

Den folgenden Tag verbringen wir überwiegend im Meer oder am Strand, dafür sind wir schließlich hierher gekommen. Unsere Aktivitäten beschränken sich auf einen längeren Strandspaziergang am Vormittag und einen Spaziergang den Berg hinauf am Nachmittag. Dabei kommen wir an einem Comedor vorbei, so heißen in Nicaragua die kleinen, einfachen Restaurants. Genaugenommen handelt es sich hierbei um eine nicht sehr einladend wirkende Bretterbude.

Jedenfalls ist es gut, dass wir diesen Comedor entdeckt haben, denn zum Abend hin sind in unserem Hostel sämtliche Vorräte ausgegangen, es gibt nichts mehr zu essen, sogar fast nichts mehr zu trinken.

Nachdem wir zwischen den überall in der Gegend herumlaufenden Hühnern hindurch zum Comedor gelangen, stellen wir fest, dass es hier im Dunkeln eigentlich sogar ganz nett ist.

Um uns herum fliegen unzählige Glühwürmchen, neben uns ist ein Hahn an einer Leine angebunden wie andernorts ein Hund.

Wir sind nicht die einzigen Gäste, das französische Pärchen aus unserem Hostel kommt auch hierher, dazu ein weiteres holländisches Paar, und dann noch zwei einheimische Surflehrer, die eine kaum vorstellbare Menge an Bier trinken - es wird ein recht lustiger Abend hier im Comedor.

Danach werden wir in dem Comedor schon wie Stammgäste behandelt. Als wir am nächsten Tag dort mittagessen, haben wir nicht genug kleine Scheine dabei. Kein Problem, sagt man uns, wir sollen dieses Essen einfach das nächste Mal mitbezahlen.

Land:Nicaragua
Ort:San Juan del Sur / Playa Maderas
Reisedatum:04.11.2016 - 08.11.2016
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:24.07.2018
Leser bisher:220

Diese Reiseerzählung soll eine Reiseerzählung bleiben. Aber eigentlich gäbe es über die Präsidentschaftswahl deutlich mehr und Wichtigeres zu schreiben, als dass am Wahlwochenende Alkohol verboten ist. Denn diese Wahl ist eine Farce. Die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Ortega gilt schon im Vorfeld als gesichert, die Opposition wurde durch zweifelhafte Winkelzüge kleingehalten. Ortega regiert nun zusammen mit seiner Frau als Stellvertreterin in vergleichbar autoritärer Weise wie die Machthaber, die er früher als Guerillero bekämpft hat. Knapp eineinhalb Jahre nach diesem Wahlwochenende eskaliert die Situation. Überall im Land finden Proteste statt, die blutig niedergeschlagen werden. Ortega will seine Gegner mit militärischer Härte in die Knie zwingen, innerhalb von drei Monaten sterben rund 300 Menschen.

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