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Italien
Galtellì (Sardinien)

Der erste Urlaubstag

Lesedauer: ca. 7 Minuten

Unser Aufenthalt auf Sardinien beginnt damit, dass wir durch ein zugemülltes Gestrüpp robben, um unter einen Zaun hindurch zu kriechen.

Auslöser dieser Situation ist, dass wir unseren Mietwagen bei einer Firma gebucht haben, deren Büro sich außerhalb des Flughafens befindet. Zwar gibt es einen Shuttle-Service dorthin, aber die ein bis zwei Kilometer können wir ebenso gut zu Fuß gehen, denken wir. Aber dann müssen wir feststellen, dass das gesamte Areal um den Flughafen herum eingezäunt ist. Wir müssten einen riesigen Umweg Richtung Schnellstraße nehmen, um in das Gebiet zu gelangen, in dem sich die Mietwagenfirma befindet. Aber dann entdeckt Nadine an dem eben erwähnten Gestrüpp ein Loch im Zaun. Und da klettern wir nun hindurch.

In der Ausfahrt stecken geblieben

Entgegen unzähliger negativer Erfahrungsberichte im Internet über diese Mietwagenfirma bekommen wir zügig und komplikationslos unser Auto.
Und schon sind wir unterwegs auf der autobahnähnlich ausgebaute Schnellstraße zu unserem ersten Ziel, Galtellì.

Wir sind so in unser Gespräch vertieft, dass wir die Ausfahrt verpassen. Also müssen wir endlose Kilometer weiterfahren, um an der nächsten Ausfahrt umzudrehen. Eigentlich sollte dies einfach zu bewerkstelligen sein, aber nach der Ausfahrt stecken wir unvermittelt in einem Wirrwarr aus kleinen gebogenen Straßen fest. Ich werfe einen Blick auf die Karte in meinem Handy, aber auf Anhieb finde ich nicht den richtigen Ausweg.

Dreitausend Euro für ein Zimmer

Kurze Zeit später stecken wir dann wirklich fest, und zwar in den engen Gassen des Dorfes Galtellì. Einem anderen Autofahrer ist es vermutlich ähnlich ergangen, und so hat er kurzerhand sein Auto einfach an Ort und Stelle stehen gelassen. Und damit ist die Zufahrt zu der Straße, in der sich unsere Unterkunft befindet, blockiert. Also lassen auch wir unser Auto bei der nächstbesten Gelegenheit stehen und gehen zu Fuß weiter.

Andrea, der Besitzer unserer Unterkunft, erklärt uns, wir könnten unser Auto ruhig dort stehen lassen, wo es steht. Michele, der Polizist des Orts, würde sich schon bei ihm melden, sollte es Probleme geben. Ein wenig kommt es mir vor, als hätte man uns soeben in einen klischeebeladenen Italienfilm katapultiert.

Zur Begrüßung bekommen wir erstmal ein Glas selbst angebauten Rotwein in die Hand gedrückt. Dieser sieht aus wie Trollinger, schmeckt nach Traubenmost und hat sechzehn Volumenprozent Alkohol. Nicht schlecht.

Wir bekommen ein wirklich schönes Zimmer mit einem großen Balkon, einem Badezimmer und sogar einem separaten Kinderzimmer, wofür auch immer.

Vor der Eingangstür zum Flur befindet sich eine mobile Trennwand. Mit dieser ist der Gang zwischen dem Nachbarzimmer und dessen Badezimmer abgetrennt. Der Nachteil dieser Konstruktion ist, dass unsere Nachbarn diese Trennwand verschieben müssen, um in den Flur zu kommen. Und damit steht die Wand mitunter vor unserer Tür. Man ist hier also immer wieder damit beschäftigt, Trennwände hin und her zu schieben.

Für unser Zimmer zahlen wir rund vierzig Euro pro Nacht, und als wir uns etwas später mit Andrea unterhalten, erzählt er uns, dass er Mitte August für seine Zimmer mehrere tausend Euro verlangen kann. Und dass es tatsächlich Leute gibt, Italiener, um genau zu sein, die das zahlen.
Ich glaube ihm diese Geschichte nicht, also durchsucht er seine elektronische Buchungsliste für mich - und siehe da: tatsächlich, eine Buchung für zwei Nächte für mehr als sechstausend Euro, eine andere Buchung für eine Nacht, dreitausend Euro.

Verrückt.
Im Wortsinn.

Außengastronomie

Das gastronomische Angebot in Galtellì ist recht überschaubar. Die wenigen Restaurants bestehen jeweils aus einem großen, grell beleuchteten, zumeist klimatisierten Gastraum, in dem ein lauter Fernseher läuft. Draußen gibt es dann noch Rauchertische, was wichtig ist, denn einerseits ist drinnen Rauchen verboten, andererseits scheint hier aber fast jeder und vorallem jede zu rauchen, spätestens ab dem sechzehnten Lebensjahr.
Jedenfalls, scheinbar gibt es hier eine scharfe Trennlinie: Drinnen wird gegessen, draußen wird geraucht und getrunken.

In einer Pizzeria treffen wir zufällig Andrea, den Besitzer unserer Unterkunft. Als er mitbekommt, dass wir Pizza und Rotwein bestellen, muss er sich bekreuzigen. Diese Kombination scheint eine Todsünde zu sein. Zu Pizza darf ausschließlich Bier getrunken werden, erklärt er uns.

Und dann bitten wir auch noch darum, dass wir draußen essen dürfen, an einem der Rauchertische. Ich kann mir gut vorstellen, was nun alle von uns denken, aber unserem Wunsch wird entsprochen.

Als wir diese Prozedur am nächsten Abend wiederholen, sieht uns ein anderes Touristenpärchen draußen essen - und möchte das ebenfalls. Und sie bestellen nicht nur eine Pizza, was ja notfalls als kleiner Snack durchgehen kann, sondern ein richtiges Abendessen.
Da haben wir ja was angerichtet...

Auf dem Berg verdurstet

Am nächsten Morgen, also an unserem ersten Urlaubstag, möchten wir ein wenig die Gegend erkunden, also gehen wir los.

Hinter dem Ort ragt ein felsiger Berg in die Höhe. Monte Tuttavista heißt er, und das klingt nun wirklich verlockend. Also wird dieser Berg unser Ziel. Was wir noch nicht wissen, ist, dass wir nun zehn Kilometer einer kleinen Straße entlang gehen werden, die sich weit ausgedehnt den Berg hinauf schlängelt. Eigentlich müsste es doch einen kürzeren Weg hinauf geben, denken wir, aber wir finden keinen.

Zwei Kilometer vor dem Gipfel führt ein kleiner Weg zu der Attraktion der Gegend, ein etwa dreißig Meter hoher Felsbogen, der Pedra Istampada, den der Wind in jahrhundertelanger Arbeit in den Kalkstein gemeißelt hat.

Durch die Bogenöffnung kann man wie durch ein überdimensionales Fenster auf das Tal hinunter blicken. Ziemlich beeindruckend.

Wir befürchten beinahe, es nicht mehr zurück zu schaffen. Und zu verdursten. Wir sind eigentlich nur für einen kleinen Spaziergang ausgerüstetet und nicht für eine mehrstündige Wanderung einen Berg hinauf.
Die Sonne knallt auf uns nieder, lediglich der heftige Wind macht es erträglich. Unsere Wasserflasche ist schon längst leergetrunken. Und uns erwarten noch gut zwei Stunden Rückweg.

Mein Gehirn träumt sich durstend in die Schweiz, wo garantiert an der nächsten Ecke ein Brunnen stehen würde, der uns mit kaltem klaren Wasser versorgen würde. Wahrlich ein Traum.

Wir kommen im Dorf an. Und stürmen in unser Badezimmer, wo wir die Wasserleitung leertrinken. Beinahe zumindest. Jedenfalls habe ich Nadine noch nie so viel Wasser trinken sehen. Wer Nadine kennt, wird vermutlich erstaunt sein, dass sie überhaupt Wasser trinkt. Und dann gleich in diesen Mengen.
Erstaunlich.

Den Rest der in unserem Körper fehlenden Flüssigkeitsmenge füllen wir am Abend mit dem sechzehnprozentigen Traubenmostrotwein auf.

Land:Italien
Ort:Galtellì (Sardinien)
Reisedatum:05.09.2019 - 06.09.2019
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:07.09.2019
Leser bisher:171

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Ingrid Bettels
Das, fängt ja richtig gut an 😀😀 Hab beim Lesen Tränen gelacht! 😂😂
Ingrid Bettels
Das, fängt ja richtig gut an 😀😀 Hab beim Lesen Tränen gelacht! 😂😂
Cory
Und keinerlei Folgeerscheinungen aufgrund der leergetrunkenen Wasserleitung in südlichen Gefilden?
Liebe Grüße
Manuel
Leere Wasserleitungen wären in der Region weniger ein Problem, so zumindest meine bisherige Erfahrung, aber leere Rotweinkaraffen ;)
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