Wer sich die Karibik vorstellt, hat dabei vermutlich etwas anderes vor Augen als eine staubtrockene Wüste. Es ist Zeit, dieses Bild zu korrigieren.
Die Guajira-Halbinsel ist der nördlichste Zipfel Südamerikas, an der Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela. Das Meer dort sieht genau so aus, wie das karibische Meer eben auszusehen hat, aber davor gibt es keine Palmen, sondern: Nichts. Trockene Wüste.
Mitunter können zwischen zwei Regentropfen auch mal zwei Jahre vergehen, und genau so sieht es dort auch aus.
In dieser unwirtlichen Gegend lebt das indigene Volk der Wayuu. Und der erste Eindruck, den man von diesem Volk hat, ist, dass es scheinbar gerne im Müll lebt: Rund um die Siedlungen ist alles voll von Plastikmüll. Mitunter sehen die von bunten Plastiktüten bespickten Kakteen aus wie Kunstwerke, in der Regel ist der Anblick der Plastikansammlungen aber schlichtweg erschreckend.
Das geschmuggelte Auto
Zu unserer dreitägigen Tour durch die Wüste werden wir in einem Allradfahrzeug mit venezolanischem Kennzeichen abgeholt. Dieses wurde über die Schmuggelrouten nach Kolumbien gebracht und kann hier in der Region problemlos eingesetzt werden, sagt man uns, im Rest Kolumbiens würde es damit aber Probleme geben. Nun gut.
In Uribia, der Hauptstadt der indigenen Wayuu, wird unser Auto aufgetankt: Mit billigem venezolanischen Sprit aus Kanistern und Plastikflaschen.
Auf der anderen Straßenseite liegen zwei festgebundene Ziegen in der prallen Sonne und warten darauf, abgeholt zu werden. Wir hoffen, dass sie nicht vorher den Hitzetod sterben.
Das Salz
Wir warten noch auf zwei Franzosen, die an der Tour mit teilnehmen, und dann geht es los.
Die tropische Vegetation ist bereits verschwunden, da tauchen unzählige kleine weiße Hügel auf: Salz.
Über sechshundert Menschen arbeiten hier, um einen guten Teil Kolumbiens mit Salz zu versorgen, lernen wir.
Neben der Straße befinden sich Eisenbahngleise, und auf diesen fährt gerade ein unglaublich langer Güterzug vorbei, der nicht enden will. Wer nun auf die andere Seite der Gleise möchte, muss wirklich viel Zeit mitbringen. Ausschließlich Kohle wird hier mit dem Zug transportiert, keine Menschen. Die müssen in der heftigen Mittagssonne mit dem Fahrrad oder zu Fuß durch die Wüste.
Es ist wirklich kaum zu glauben, dass hier Menschen leben: Außer Kakteen, ein paar karge Sträucher und Ziegen scheint es nichts zu geben. Und trotzdem leben hier die Wayuu in mehreren Gemeinschaften über die Guajira-Halbinsel verteilt. Sie betreiben ein vom kolumbianischen Staat unabhängiges Rechtssystem: Diebstahl, Unfall, Mord, alles wird hier untereinander geregelt. Hauptsächlich dadurch, dass ein Preis festgelegt wird, wieviel die Familie des Täters der Familie des Opfers schuldig ist. Auch welche Frau ein Mann bekommt, hängt davon ab, was die beiden Familien untereinander als Preis vereinbaren. Zumindest erzählt das so unser Fahrer, die Wirklichkeit wird vermutlich etwas komplexer sein.
Die Keks-Mautstationen
Mittlerweile gibt es keine Straße mehr, sondern nur noch holprige Pisten oder Sand. Oder lediglich etwas Geröll, durch das unser Fahrer irgendwie den Weg finden muss.
Das Allradgetriebe unseres Autos scheint nicht richtig zu funktionieren, und so bleiben wir einige Male stecken. Einmal gelingt es unserem Fahrer nicht, das Fahrzeug wieder in die Spur zu bringen, und wir rutschen einen Hügel hinunter... Festhalten... Ohje...
„Tranquilo, no hay problema“ beruhigt unser Fahrer uns und sich selbst, als wir unversehrt unten ankommen.
Immer wieder ist eine Schnur oder Kette über den Weg gespannt. Kleine Kinder verlangen Wegzoll. Das bekommen sie meistens auch, und zwar drückt ihnen unser Fahrer einen Keks in die Hand.
Diese durch Kinder betriebenen Mautstationen kann man solange als niedlich empfinden, bis nun auch Erwachsene und sogar alte Menschen an einer Schnur stehen und sich über einen Keks oder eine kleine Tüte Trinkwasser freuen.
Unser Fahrer erklärt uns, dass zudem die Kinder zumeist ihre Kekse gar nicht selber essen dürfen, sondern sie bei der Familie abliefern müssen.
Die Hängematten
Nachts schlafen wir während dieser Tour in Hängematten. Chinchorros werden diese Hängematten hier genannt, bei denen der Stoff links und rechts umgeschlagen werden kann, so dass man gleichzeitig auf der Hängematte liegen und sich mit ihr zudecken kann.
Glücklicherweise hängen die Hängematten nicht unter freiem Himmel, sondern in einem nach drei Seiten geschlossenen Unterstand. Dieser schützt ein wenig vor dem Wind, was wirklich wichtig ist, denn der Wind weht hier so heftig, dass wir ansonsten aus unseren Hängematten herausgepustet worden wären.
In dem Camp, in dem wir die zweiten Nacht verbringen, gibt es diesen Schutz hingegen nicht mehr. Stattdessen bekommen wir Decken ausgehändigt. Nun gut.
Dafür hat dieses zweite Camp nagelneue, moderne sanitäre Einrichtungen. Allerdings kommt leider kein Wasser aus den Leitungen. Stattdessen befindet sich um die Ecke eine Sammlung an mit Wasser gefüllten Tonnen, aus denen man mit sich einen Eimer füllen kann. Damit man sich unter der Dusche nicht gleich den ganzen Eimer über den Kopf schütten muss, stehen zudem ein paar leere Margarine-Packungen als Schöpfer bereit, es ist also wirklich an alles gedacht.
Als ich nachts aus meiner Hängematte aufstehe, um auf eine dieser Wassereimer-Toiletten zu gehen, bin ich noch so schlaftrunken, dass ich die Stufe nach dem Hängematten-Unterstand übersehe. Ich stolpere, kann mich gerade noch fangen, und stehe plötzlich vor einem Esel, der gerade durch das Camp spaziert. Hallo! Nachdem wir beide uns von dem Schreck erholt haben, geht jeder seines Weges.
Der Spülkasten
À propos Toiletten: Ich frage mich, warum die Toiletten hier in der Region eigentlich über Spülkästen verfügen, wenn diese sowieso nie mit Wasser gefüllt sind. In einem Restaurant bekomme ich nun eine Toilette präsentiert, die mir die Antwort auf dieses Rätsel gibt: Ohne Spülkasten sieht es schlichtweg ziemlich komisch aus.
Dieses Restaurant befindet sich mitten im Nichts, an einem Strand, der vermutlich kaum mit der Vorstellung eines karibischen Traumstrands in Einklang zu bringen ist.
Alle paar Meter hat das Meer einen weißen Haufen aufgetürmt, der aus Millionen an Muscheln besteht.
Den Weg zu diesem Niemandsland-Restaurant gehen wir zu Fuß, schließlich sind wir nun schon lange genug im Auto gesessen. Und landen dabei plötzlich in einem Salzsee. Was es hier nicht alles gibt.
Die Düne
Wir kommen an einer riesigen Düne an, die ziemlich steil direkt ins Meer fällt.
Schade, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, hier einen Sandboard-Verleih aufzumachen
Das wäre sicherlich ein großer Spaß, hier hinunter zu brettern und dann direkt im Meer zu landen.
Stattdessen sieht unser Tourplan etwa zweieinhalb Stunden Zeit vor, die wir hier am Strand verbringen können. Eine grandiose Idee. Die Mittagssonne brennt über uns und es gibt keinen Millimeter Schatten - genau die richtigen Rahmenbedingungen also, unter denen wir mehr oder weniger käseweißen Mitteleuropäer uns hier aufhalten sollten.
Zum Glück gibt es einen Kiosk in der Nähe, der kühles Bier verkauft und rettenden Schatten bietet.
Der nördlichste Punkt Südamerikas
Der übriggebliebe Sockel eines alten, ehemaligen Leuchturms, daneben ein Stahlgerüst, welches wohl der neue Leuchtturm ist - mehr gibt es hier nicht.
Kein Mensch würde sich wohl hierher verirren, wenn dies nicht zufällig ein ganz besonderer geografischer Punkt wäre: Der nördlichste Punkt Südamerikas.
Das ist ungefähr so wichtig wie der nördlichste Punkt des südlichsten Stadtteils der westlichsten Stadt des östlichsten Bundeslands eines mitteleuropäischen Landes. Oder so ähnlich.
Aber wir entdecken dann doch eine Besonderheit: Einen grünen Algenteppich am Meer. Das erste Grün, das wir seit langem sehen!
Das Grün
Aber damit nicht genug: Unser Camp für diese Nacht liegt direkt an Mangroven! Wir freuen uns riesig über diesen ungewohnten Anblick nach einer gefühlten Ewigkeit ohne Grün.
Am nächsten Tag fahren wir dann wieder zurück, aus der Wüste heraus. Jedenfalls versuchen wir das, denn das Getriebe unseres Autos macht immer mehr Probleme: Unser Fahrer kann mittlerweile nur noch in hohen Gängen anfahren, was mal mehr, mal weniger gut gelingt. Und immer wieder hört man einen bedrohlichen Schlag aus dem Motorraum. Wir hoffen, dass es das Auto noch aus der Wüste heraus schafft.
Land: | Kolumbien |
Ort: | Guajira |
Reisedatum: | 06.03.2020 - 08.03.2020 |
Autor: | Manuel Sterk |
Veröffentlicht: | 10.03.2030 |
Leser bisher: | 300 |
Deine Meinung zu dieser Reiseerzählung:
Gefällt mir
Nicht so toll
Dein Name wird über Deinem Kommentar angezeigt. Du kannst dabei natürlich irgendwas eingeben, auch den größten Blödsinn, aber schön wäre es, wenn die Leser Deines Kommentars erkennen könnten, wer ihn geschrieben hat ;)
Alle Reiseerzählungen
Newsletter
Einfach hier anmelden!