Die Hitze Granadas hat uns mittlerweile schon beinahe zum Schmelzen gebracht. Ein oder zwei Badetage wären jetzt genau das Richtige zum Abkühlen, denken wir, und so trifft es sich wirklich gut, dass es in der Nähe Granadas einen mit Wasser gefüllten Vulkan gibt, die Laguna de Apoyo.
Tiefblau soll sich dieser Kratersee präsentieren, wenn man auf ihn zufährt, so hat es der Reiseführer versprochen. Die Wirklichkeit ist eher tiefgrau, es regnet heftig.
Wir haben ein Zimmer im „Paradiso“ vorgebucht. Eine Mischung aus Hostel und Hotelanlage, so ganz sind wir aus den Informationen im Internet nicht schlau geworden, jedenfalls bietet das Paradiso einen Shuttleservice aus Granada an, bequemer geht es also wirklich nicht.
Allerdings hätte uns das überflüssige „D“ im Namen stutzig machen müssen, schließlich würde ein wirkliches Paradies in Nicaragua „Paraíso“ heißen. Und somit ist diese Anlage auch alles andere als ein Paradies, eher eine Tourismusmaschine für US-Amerikaner. Uns gefällt es hier gar nicht.
Aber immerhin gibt es hier alles, was das Touristenherz begehrt, unter anderem eine Bar mit kühlem Bier. Die Preise sind in US-Dollar ausgezeichnet, hier ist also wirklich alles perfekt auf die Zielgruppe ausgerichtet. Ein solches dollarbepreistes Bier bestelle ich mir, vielleicht lässt sich diese Hotelanlage ja schöntrinken. Nadine ist von dieser Vorgehensweise nicht so ganz überzeugt, und so macht sie sich auf den Weg, sich eine anderen Hotelanlage anzusehen, an der wir vorhin bei der Herfahrt vorbeigekommen sind. Sie heißt Selvazul, „blauer Wald“ würde ich das übersetzen, was irgendwie ein bisschen verstörend klingt.
Jedenfalls kommt Nadine nach einiger Zeit mit zwei Erkenntnissen zurück: Zum einen ist das Selvazul deutlich schöner als das Paradiso und zum anderen gäbe es dort noch ein freies Zimmer für uns.
Erstaunlicherweise können wir unser gebuchtes und bereits bezogenes Zimmer im Paradiso völlig problemlos zurückgeben und ziehen somit ohne größere Mehrkosten um.
Der blaue Wald
Ich kann zwar keinen blauen Wald entdecken, aber das Selvazul ist eine wirklich sehr schöne Hotelanlage, die Zimmer sind auf ein paar kleinere Häuser über den Hang hinweg verteilt, umgeben von dichtem tropischen Grün. Direkt vor unserem Zimmer gelangt man über eine wackelige Brücke zu einer Art Baumhaus, mit Blick über die Lagune. Offensichtlich hat der letzte Sturm diesem Baumhaus nicht gut getan, aber vor der Zerstörung war darin ein sicherlich sehr schönes Hotelzimmer. Aber auch unser Zimmer ist schön, hell, offen, aus Naturmaterialien gebaut. Und trotzdem ziehen wir am nächsten Tag nochmals um: Ein anderes Zimmer wird frei, mit einem eigenen privaten Pool auf der Terrasse und Blick über die gesamte Kraterlagune. Ein bisschen dekadent vielleicht.
Man kann es hier wirklich sehr gut aushalten. Das Wasser der Lagune ist perfekt: glasklar, sauber und vom Vulkan angenehm gewärmt.
Immer wieder können wir Vögel beobachten, die wir sonst wohl nur in der Stuttgarter Wilhelma zu sehen bekommen, dazu die tropische Geräuschkulisse - mitunter wirkt das alles schon beinahe unecht.
Abends, im Dunkeln, gehen wir mit einer Taschenlampe ausgerüstet nochmals zur Lagune hinunter. Genauer gesagt gehen wir zweimal hinunter, weil ich beim ersten Mal auf einer wackeligen Steinplatte ausrutsche und mir dabei einen Zeh aufreiße. Nach der Wundversorgung also der zweite Anlauf. Wir genießen die Geräusche der Natur, das Plätschern der fliegenden Fische in der Lagune, die herrliche tropische Atmosphäre.
Allerdings sind wir offensichtlich die einzigen, die die Natur in dieser Art genießen können: die anderen Gäste hören laut ihre Musik, mitunter singen sie dazu. Hier unten sind wir zwar alleine, aber dafür weht laute Musik aus dem Paradiso quer über die Lagune herüber. Gut, dass wir nicht dort geblieben sind.
Aber wenn man sich den menschgemachten Lärm wegdenkt, dann ist es traumhaft schön hier.
Der geheimnisvolle Strudel
Am nächsten Tag reisen nach und nach fast alle anderen Gäste ab und wir sind so gut wie alleine hier. Der kommende Abend verspricht also sehr entspannt und ruhig zu werden.
Wir leihen uns zwei Kayaks aus und erkunden paddelnd die nähere Umgebung. Eigentlich ein recht angenehmer Zeitvertreib, aber wir haben etwas Pech: bisher war das Wasser extrem ruhig, aber nun wird es mit einem Mal ziemlich unruhig, mitunter haben wir sogar mit Wellen zu kämpfen. Damit haben wir auf dieser Lagune nicht gerechnet.
Plötzlich landen wir in einer Strömung, die uns vehement in Richtung eines geheimnisvollen Strudels zieht. Sehr seltsam. Was hat der Vulkan mit uns vor?
Wir versuchen, ans Ufer zurück zu paddeln.
Und schaffen es nicht.
Wir kommen dem Strudel immer näher.
Wir paddeln weiter.
Uff. Geschafft.
Wir kommen am Ufer an.
Wir freuen uns, dass wir dem geheimnisvollen Strudel entkommen sind.
Und über die angenehme Ruhe hier.
Die aber plötzlich vorbei ist: Eine riesige, laute Menschengruppe reist an. Sie verteilen sich über die ganze Anlage und versuchen dabei, so viel Lärm wie möglich zu verbreiten, die ganze Nacht hindurch.
Offensichtlich gilt die Laguna de Apoyo als Wochenend-Partylocation für die nahegelegene Hauptstadt Managua.
Ein Skorpion getarnt als Handtuchhalter
Am nächsten Morgen greife ich zu meinem Handtuch, das an einem verrosteten Handtuchhalter hängt. Plötzlich krabbelt dieser Handtuchhalter los, über meine Hand. Offensichtlich bin ich noch nicht richtig wach, denn es dauert einen Moment, bis ich kapiere, was passiert ist.
Unter meinem Handtuch befand sich nicht nur der Handtuchhalter, sondern auch ein Skorpion, in Farbe und Form dem Handtuchhalter angepasst. Und dieser Skorpion krabbelte über mich, nicht der Handtuchhalter.
Das war knapp. Der Skorpion hat mich zwar berührt, aber nicht gebissen. Wir beide, also der Skorpion und ich, erholen uns erstmal von dem Schreck unserer Begegnung, bis wir nacheinander das Zimmer verlassen.
Nadine recherchiert während des Frühstücks im Internet: Für Nicaragua findet sie keine Informationen, aber zumindest im Nachbarland Costa Rica scheinen die Skorpione nicht tödlich zu sein.
Noch ein Skorpion
Einen Monat später sind wir wieder zurück in Stuttgart. Hier muss man nicht fürchten, dass einem Skorpione über die Hand laufen. Dachte ich zumindest.
Wir sind vor ein paar Stunden aus Nicaragua zurückgekommen, ich packe gerade meinen Rucksack aus. Die Klamotten daraus lege ich vor die Waschmaschine, will sie in die Trommel stopfen - und plötzlich krabbelt etwas heraus. Ein Skorpion!
Der Skorpion ist wohl von dem langen Flug von Nicaragua hierher ähnlich erschöpft wie ich und krabbelt daher zielgerichtet zum Schlafzimmer. Ich verfolge ihn und rufe Nadine, sie soll bitte schnell ein Glas herbringen. Was sie auch sofort macht, mit einem beinahe sichtbaren Fragezeichen über ihrem Kopf. Das Rätsel löst sich für sie auf, als ich das Glas über den Skorpion stülpe.
Das ging noch mal gut. Wir haben den Skorpion erfolgreich daran gehindert, sich irgendwo in unserer Wohnung zu verstecken. Aber was machen wir nun mit ihm?
Mangels besserer Idee ruft Nadine die Polizei an. Dort ist man froh, dass wir den Skorpion bereits eingefangen haben, und schickt den städtischen Tiernotdienst zu uns. Was es nicht alles gibt.
Zwischenzeitlich informiert Nadine alle Kinder im Haus, dass man sich bei uns einen Skorpion ansehen könne. Dieses Angebot wird von unseren Nachbarn rege genutzt, denn tatsächlich bekommt man hier nicht alle Tage einen Skorpion zu sehen.
Auch die Mitarbeiter des Tiernotdienstes verfügen offensichtlich nur über einen ziemlich begrenzten Erfahrungsschatz im Umgang mit Skorpionen. Als wir auf die Frage, ob der Skorpion giftig wäre, antworten, dass wir das nicht wissen, trauen sie sich nicht, den Skorpion in den mitgebrachten Behälter umzusiedeln.
Letztendlich wird unser Skorpion aber dann doch mitgenommen. Was mit ihm dann weiter passiert, das wissen wir leider nicht. Vielleicht findet er ein neues Zuhause in der Wilhelma, bei den tropischen Vögeln, deren freilebende Artgenossen wir an der Laguna de Apoyo besuchen durften.
Land: | Nicaragua |
Ort: | Laguna de Apoyo |
Reisedatum: | 02.11.2016 - 04.11.2016 |
Autor: | Manuel Sterk |
Veröffentlicht: | 22.07.2018 |
Leser bisher: | 122 |
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