Unser erster Ort an der peruanischen Pazifikküste ist Mollendo, laut Reiseführer der attraktivste Strandort in dieser Region. Aber vermutlich ist das ironisch gemeint.
Die Fahrt über den Mond
Unsere Busfahrt aus den Anden hinunter an die Pazifikküste führt uns über den Mond. Zumindest kommt es mir so vor.
Aber dann verlassen wir den Mond. Eine Art See taucht auf, ein paar Strommasten wachsen aus dem Wasser.
Und danach befinden wir uns mitten in der Wüste.
Es wird während dieser Fahrt also keinesfalls langweilig.
Willkommen in Mollendo
Am Busterminal von Mollendo wachsen ein paar Pflanzen um schrottreife Fahrzeuge herum. Was erstaunlich ist, denn bis jetzt habe ich gedacht, dass es in dieser Gegend keine einzige Pflanze gibt.
Knapp drei Kilometer sind es vom Busterminal in die Innenstadt.
Man lernt eine unbekannte Stadt naheliegenderweise deutlich besser kennen, wenn man durch sie zu Fuß geht, als wenn man sich in einem Taxi chauffieren lässt, also gehen wir los.
Und tatsächlich, so lernen wir Mollendo kennen. Allerdings fragen wir uns gelegentlich, ob wir hier richtig sind.
Nach einiger Zeit kommen wir in der Innenstadt an.
Zahlreiche wirklich interessante Gebäude schmücken diese Stadt, dazu eine alte Bahnlinie mit einem Bahnhof.
Das einzige, was man machen müsste, ist, die komplett verfallenen Gebäude herzurichten. Falls das noch möglich ist.
In einer Marketingbroschüre der Stadt sind viele der Gebäude, an denen wir gerade zufällig vorbeikommen, als Sehenswürdigkeiten von Mollendo angepriesen. Warum sich diese vermeintlichen Sehenswürdigkeiten allerdings alle kurz vor dem Einsturz befinden und mitunter aus gutem Grund weiträumig abgesperrt sind, darüber finde ich keine Informationen in dieser Broschüre.
Die Gammelfleisch-Unterkunft
Laut Reiseführer müsste man in der Hauptsaison von Januar bis April in Mollendo unbedingt eine Unterkunft vorreservieren. Und so sind wir ziemlich überrascht, dass wir jetzt, während dieser Hauptsaison, gefühlte tausend Unterkünfte vorfinden, die zu großen Teilen leerstehen.
Allerdings hilft uns dieses Überangebot nur begrenzt weiter, denn die meisten Unterkünfte sind derart schaurig, dass wir dort keine einzige Nacht verbringen wollen. Und unsere Ansprüche sind eigentlich nicht allzu hoch, denke ich zumindest.
Wir betreten gerade die hundertste Unterkunft, grob geschätzt. Wie überall läuft hier ein lauter Fernseher und irgendwo in der Nähe dieses Fernsehers sitzt oder liegt jemand, der für diese Unterkunft zuständig ist. Und hier ist der Besitzer ein dicker Mann, der in der Regel mit nacktem Oberkörper auf der Couch liegt, direkt unter dem rund um die Uhr eingeschalteten Fernseher. Es stinkt hier gewaltig nach Gammelfleisch. Was vermutlich daran liegt, dass sich in diesem Haus nicht nur das Hotel befindet, sondern auch eine Metzgerei.
Dieses Haus ist eines der höchsten in der Innenstadt von Mollendo, und ganz oben bekommen wir ein Zimmer angeboten mit Blick über die Stadt bis zum Meer.
Natürlich ist das hier nicht ganz das, was ich mir unter einer Unterkunft in einem Strandort vorstelle, denn ich habe dabei eher irgendwas mit offenen Aufenthaltsbereichen und Hängematten vor Augen, aber dies hier ist das Beste, was wir bisher in Mollendo gesehen haben. Also nehmen wir das Zimmer in dieser Gammelfleisch-Unterkunft. Immerhin riecht man von dem Gammelfleisch bei uns oben im Zimmer nichts.
Im Badezimmer gibt es keinen Spiegel, heißes Wasser gibt es hier selbstverständlich auch nicht, eine Klobrille ebenfalls nicht, und zum Spülen muss man den Kasten auseinandernehmen, um von Hand Schwimmer und Abflussventilklappe voneinander zu entwirren, aber ansonsten scheint hier alles in Ordnung zu sein.
Urlaubsfeeling
Mollendo wird nahezu ausschließlich von peruanischen Sommerurlaubern und Wochenend-Ausflüglern der nahegelegenen Stadt Arequipa besucht, ausländische Touristen verirren sich nur äußerst selten hierher.
Diese Stadt gibt uns also einen kleinen Einblick, wie Peruaner ihren Urlaub verbringen. Aber es kann natürlich sein, dass ich dabei einiges falsch beobachte oder falsch interpretiere. Oder unzulässig verallgemeinere.
Jedenfalls scheint es so zu sein, dass sich peruanische Urlauber zwar genauso intensiv betrinken wie andere Urlauber auch, aber nicht öffentlich. Im Ort entdecken wir keine einzige Bar. Obwohl, eine schon, aber die ist immer leer.
Am Strand gibt es ein paar Strandbars, und eine davon wird zu unserer Stammbar. Die meiste Zeit sind wir die einzigen Gäste hier.
Und plötzlich, wir können es kaum glauben, kommen zwei gesellige Peruaner in unsere Strandbar. Sie rauchen ein paar Joints, trinken ein paar Bier und sind fröhlich. Man könnte fast meinen, wir wären plötzlich in einem anderen lateinamerikanischen Land gelandet.
Aber dann gehen sie wieder.
Das Leben der anderen Urlauber hier in Mollendo scheint sich ausschließlich im Familienkreis abzuspielen. Wobei die Familien oftmals derart groß sind, dass man wahrlich keine anderen Leute mehr um sich benötigt.
Jedenfalls liegt unsere Strandbar strategisch günstig. Direkt in der Nähe befinden sich unzählige Stände, an denen laufend frisches Essen zubereitet auf. Das aber nicht frisch verkauft wird, sondern verkauft wird nur das, was vor ein paar Stunden vorbereitet wurde. Das gilt für Churros ebenso wie für ein Fleischgericht.
Auch einen Kaffestand gibt es hier, das ist gut für Nadine. Sie bekommt ihren Kaffee in einen Plastikschlauch gefüllt, dazu einen Strohhalm.
Was aufgrund des wirklich attraktiven Mojito-Angebots unserer Strandbar sehr wichtig ist, das ist, dass sich auch die Toilettenanlage des Strands direkt in der Nähe befindet. Allerdings gibt es dort irgendwann kein Wasser mehr und somit werden die Toiletten gesperrt, was vermutlich eine vernünftige Entscheidung ist.
Einen Strandabschnitt weiter gibt es weitere Toiletten, und die haben noch Wasser. Allerdings ist deren Zustand ungefähr so, wie ich mir die ersten Toiletten vorstelle, wenn sie ein paar Stunden ohne Wasser benutzt worden wären.
Aber offenbar sind die Toiletten sowieso nicht so wichtig, denn überall am Strand stehen Zelte oder Pavillons herum, und die Rückseiten hiervon werden als Urinale genutzt.
Die Strandbars sind die einzigen Orte in Mollendo, die über eine Außenbestuhlung verfügen. Ansonsten spielt sich alles drinnen ab. Und das, obwohl hier nach meiner Ansicht ein perfektes Klima herrscht: Es ist warm, aber nicht heiß. Und es ist trocken.
Es gibt unzählige Restaurants in Mollendo. In jedem dieser Restaurants läuft ein Fernseher, auf den alle Gäste starren.
Erstaunlicherweise finden wir noch ein Restaurant, in dem der Fernseher ausgeschaltet ist, und da gehen wir hinein. Mangels Fernseher starren hier alle auf ihre Handys.
Die Speisekarte umfasst etwa dreißig Gerichte, was wirklich beeindruckend ist, und ebenso beeindruckend ist die Anzahl der vegetarischen Gerichte darunter: Kein einziges.
Wir unternehmen einen kleinen Rundgang durch die Markthalle. Hunde, Fliegen und interessierte Käufer mustern das Fleisch, das ungekühlt präsentiert wird. Hier kommt also das her, was man in den Restaurants auf den Tisch bekommt.
Immerhin, dieser Fleischmarkt ist relativ sauber und ordentlich, da haben wir auf unsere Reise schon ganz anderes gesehen.
Der Spaziergang
Wir bestaunen in der Markthalle noch den schwarzen Mais, den es hier überall zu kaufen gibt, und dann gehen wir weiter.
Unser Ziel ist der Strand, der sich direkt unterhalb der Stadt befindet.
Sehr schön hier ;)
Hier ist einiges los, auch im Wasser. Ob das Meer warm ist? Ich weiß nicht, wie weit nach Norden der kalte Humboldtstrom reicht. Also muss ich das ausprobieren. Mein Ergebnis: Der Humboldtstrom entfaltet in Peru noch seine volle Wirkung. Das Wasser ist eiskalt.
Am Strand wird gerade ein Rummelplatz aufgebaut. Schade, dass er noch nicht in Betrieb ist, das wäre bestimmt lustig zu beobachten.
Wir gehen weiter zum nächsten Strand. Eine Brücke, von der nur noch die Stahlträger übrig sind, führt über die Eisenbahnlinie.
Zu Beginn des Strands befindet ein großes Schild, auf dem steht, dass hier das Abladen von Müll und Schutt verboten ist. Und direkt neben diesem Schild wurde Müll und Schutt abgeladen.
Ansonsten unterscheidet sich dieser Strand nicht sonderlich vom vorhergehenden, also gehen wir wieder zurück.
Ein paar Leute haben sich einen idyllischen Platz für einen gemütlichen Grillnachmittag gesucht.
Die Nacht
Die erste Nacht in unserer Gammelfleisch-Unterkunft ist erstaunlich entspannt. Musik vom gegenüberliegenden Alkoholladen, dazu die ununterbrochenen Sirenen der Autoalarmanlagen und ratternder Verkehrslärm, ansonsten ist es ruhig.
Aber am nächsten Tag reisen weitere Gäste an. Der typische Eincheck-Vorgang in einem Hotel läuft hier so ab: Lärmend wird eine unglaubliche Menge an Gepäckstücken ins Zimmer gebracht, die Tür wird zugeschlagen und dann wird als erstes der Fernseher eingeschaltet und die Lautstärke hochgedreht.
Der Fernseher bleibt dann bis spät in die Nacht an. Und da die Wände hier aus nicht viel mehr als Pappe bestehen, können wir somit das Fernsehprogramm unserer Nachbarn mit genießen.
Und morgens geht bei unseren Nachbarn dann nach dem Aufwachen der erste Griff sofort zur Fernbedienung. Wir müssen also keinen Wecker stellen, denn spätestens um sechs oder sieben Uhr dröhnen die Fernseher von links und rechts.
Offensichtlich scheinen viele Leute nur deshalb nach Mollendo zu reisen, um dort ausgiebig fernsehen zu können.
Eile
In einer Bäckerei wollen wir eine Kleinigkeit einkaufen. Während Nadine gerade mit der Verkäuferin spricht, drängelt sich eine Peruanerin dazwischen und gibt ihre Bestellung ab. Ein durchaus gewöhnlicher Vorgang, denn die Peruaner belegen vermutlich einen der weltweit vordersten Plätze in der Kategorie Vordrängeln. Vermutlich müssen sie möglichst schnell wieder zurück zu ihrem Fernseher, könnte man denken.
Auch beim Autofahren wird hier in Peru keine Zeit verschwendet. Falls tatsächlich mal ein Autofahrer Fußgänger über die Straße lässt, was äußerst selten vorkommt, oder wenn jemand vor dem Abbiegen kurz warten muss, beginnen die Autos dahinter unverzüglich mit einem ungeduldigen Hupkonzert.
Jedenfalls kann Nadine ihre Bestellung erst fortsetzen, als sie die andere Kundin mit einem deutlichen „Un momentito, por favor“ ruhig stellt.
Die Lagunen
Irgendwie scheint uns dieses kuriose Mollendo so in den Bann gezogen zu haben, dass wir gar nicht bemerken, dass wir nun schon fünf Tage hier sind. Anfangs dachte ich, wir halten es keinen einzigen Tag hier aus.
Unser einziger Ausflug während dieser Zeit geht zu nahegelegenen Lagunen. Die sind ein Refugium für unzählige Vögel auf der Durchreise, schließlich gibt es außer diesen Lagunen über zweitausend Küstenkilometer entlang nicht wirklich viel, wo sie Nahrung finden können.
Der Eintritt zu diesem Naturpark hat bis vor kurzem nur ein paar Sol gekostet, jetzt wurde er aber kurzerhand um fünfhundert Prozent erhöht. Viel zu teuer wäre das, beschwert sich Nadine. Der Einlasskontrolleur wird das wohl nicht zum ersten Mal gehört haben, denn ohne zu zögern bietet er uns an, dass eine Eintrittskarte für uns beide reichen würde.
Aber eigentlich hätten wir auch gar nichts bezahlen müssen, stellen wir spater fest, denn es gibt hier noch einen weiteren Eingang, und zwar den, den wir als Ausgang nutzen, und dort steht niemand, der Eintrittskarten verkauft oder kontrolliert.
Der Wanderweg an den Lagunen entlang geht über etwa sechs Kilometer. Das ist für die örtlichen Verhältnisse deutlich zu viel, um zu Fuß zu gehen, daher darf man auch mit seinem Auto durch den Naturpark fahren. Was zwei peruanische Familien natürlich ausnutzen. So sieht hier also ein Ausflug ins Grüne aus.
Aber außer diesen beiden Autos ist sonst niemand hier. Wir müssen lediglich mit unzähligen Geiern um einen Platz an den jeweiligen Aussichtspunkten kämpfen.
Abschied
Heute werden wir Mollendo endlich verlassen.
Fast schade, denn Mollendo dreht heute nochmal richtig auf, das Wochenende beginnt. Ein zweitägiges Beachvolleyball-Turnier findet statt, der Strandrummelplatz steht kurz vor der Eröffnung und vor dem Zugang zum Strand gibt es einen Büchermarkt, was insofern erstaunlich ist, weil ich hier noch nie gesehen habe, dass jemand ein Buch liest.
Die Anzahl der Strandverkäufer steigt um ein Vielfaches an. Ohne dass man sich einen Meter vom Fleck bewegen muss, kann man hier wirklich alles kaufen, was man am Strand brauchen könnte, Schirme, Kleidung, Essen, Trinken. Ein Getränkeverkäufer preist seine Ware damit an, dass sie perfekt wäre, wenn man einen Kater hat. Aber seiner Stimme nach zu urteilen haben die Getränke bei ihm keine ausreichende Wirkung erzielt.
Die Schlammlawine
Wir fahren im Nachtbus die Panamericana nordwärts, weg von Mollendo.
An Schlaf ist nicht zu denken, denn auch im Bus läuft natürlich ein Fernseher, und zwar in gewaltiger Lautstärke. Man kann den Ton nicht leiser machen, erklärt man uns, denn dann würde man hinten nicht mehr gut hören. Wir sitzen vorne.
Aber weit kommen wir sowieso nicht: Mitten im dunklen Nirgendwo bleibt der Bus stehen. Motor aus. Lüftung aus. Licht aus. Warten.
Nun ist es ruhig. Abgesehen von dem gewaltigen Schnarchen unserer Mitreisenden, die offenbar damit das Rattern des Dieselmotors ersetzen wollen.
Aufgrund starker Regenfälle hat sich eine Schlammlawine gebildet, und die hat die Straße verschüttet, erklärt mir unsere Busbegleiterin. Niemand weiß, wie lange wir hier stehen werden.
Die Nacht ist vorbei, es wird langsam wieder hell. Wir stehen immer noch. Mittlerweile sind viele Passagiere aus ihren Bussen ausgestiegen.
Dann geht es plötzlich ein paar Meter weiter, was zu einem ziemlichen Chaos führt, da nun jeder versucht, schnell zurück zu seinem Bus zu kommen.
Und nun stehen wir wieder. Mittlerweile seit fünf Stunden.
Land: | Peru |
Ort: | Mollendo |
Reisedatum: | 14.01.2019 - 18.01.2019 |
Autor: | Manuel Sterk |
Veröffentlicht: | 19.01.2019 |
Leser bisher: | 366 |
Deine Meinung zu dieser Reiseerzählung:
Gefällt mir
Nicht so toll
Dein Name wird über Deinem Kommentar angezeigt. Du kannst dabei natürlich irgendwas eingeben, auch den größten Blödsinn, aber schön wäre es, wenn die Leser Deines Kommentars erkennen könnten, wer ihn geschrieben hat ;)
Alle Reiseerzählungen
Newsletter
Einfach hier anmelden!