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Brasilien
Morro de São Paulo

Eingesperrt im Badezimmer

Lesedauer: ca. 11 Minuten

Dass man während eines Urlaubs auch mal unfreiwillig längere Zeit im Badezimmer verbringen muss, kann durchaus vorkommen. In meinem Fall hat dies aber nichts mit nicht vertragenem Essen zu tun, sondern mit einem abgebrochenen Schlüssel.

Bis zu diesem Ereignis ist unser Aufenthalt in Morro auf der Insel Ilha de Tinharé Urlaub pur:

Morro de São Paulo

Morro wirkt auf uns wie eine Kulisse, nicht wie ein wirkliches Dorf.

Durch dieses Dorf mit seinen unzähligen Restaurants, Souvenir-Ständen, Eisdielen und Unterkünften schlendern unentwegt Touristen hin und her. Tourismus vor der Kulisse „brasilianisches Dorf“ eben.

Der Eindruck der Unwirklichkeit wird noch dadurch verstärkt, dass es hier im Ort keine Autos und Motorräder gibt.

Für den Transport von Waren, Koffern und gehbehinderten Menschen werden Schubkarren verwendet.

Außerhalb des Ortskerns ist es allerdings nicht mehr ganz so autofrei.

Trotzdem: Wenn man wie wir gerade frisch aus der Millionenstadt Salvador mit ihren endlosen vielspurigen Blechkolonnen hierhergekommen ist, könnte der Kontrast nicht größer sein.

Caipirinha in der Badewanne

Morro besitzt vier Strände, die praktischerweise einfach durchnummeriert sind.

Der erste Strand liegt direkt am Dorf, der zweite Strand folgt kurz darauf und besteht hauptsächlich aus unzähligen Restaurants und Bars, die jeweils über gefühlt tausend Tische verfügen. Nicht unbedingt sehr idyllisch.

Aber ab dem dritten Strand wird es mit jedem Meter schöner und auch ruhiger.

Im Wasser steht ein Boot, das als Bar fungiert. Bei Ebbe werden davor Stühle und Schirme im Sand aufgestellt, und wenn dann die Flut kommt, bleibt alles einfach stehen und man kann sich somit mitten im Meer auf einen Stuhl setzen und eine Caipirinha trinken.

Wirklich schön ist dann aber der vierte Strand. Hier bleiben wir und suchen uns einen Platz im Schatten.

Auch hier ist es kein Problem, an eine Caipirinha zu kommen, denn in nicht allzu großen Abständen wurden Mini-Strandbars aufgebaut.

Das alles ist umgeben von feinstem Sand. Welcher täglich mit einem Rechen gesäubert wird. Über mehrere Kilometer hinweg. Jeder Stock, den die Flut herangespült hat, wird weggeräumt. Der Strand ist wirklich unvorstellbar sauber.

Bei Ebbe bilden sich lauter kleine Swimmingpools. Oder besser gesagt: Badewannen, denn die Wassertemperatur ist die einer Badewanne.

Später, wenn die Flut kommt, verbinden sich die einzelnen Badewannen zu einer einzigen riesig großen Badewanne, wobei die Wassertemperatur dabei noch weiter ansteigt.

Wir holen uns eine Caipirinha und setzen uns in diese Badewanne. Urlaub pur, wie bereits erwähnt.

Übermäßig viel Geld muss man hier für eine Badewannen-Caipirinha nicht investieren: Die preiswertesten Mini-Strandbars bieten sie für 10 Reais an, umgerechnet knapp 1,60 Euro.

Der verschwundene Geldbeutel

Aber nicht nur das autofreie Dorf, das Badewannen-Meer und das Caipirinha-Angebot ist hier paradiesisch. Sondern auch, dass man nicht dauernd auf seine Wertsachen achten muss. Salvador, Brasiliens gefährlichste Stadt mit ihren von der Militärpolizei überwachten touristischen Zonen, ist nur zweieinhalb Stunden mit dem Boot entfernt (auch wenn wir wetterbedingt einen ganzen Tag gebraucht haben, aber das ist eine andere Geschichte) - und trotz dieser kurzen Entfernung sind wir hier in einer ganz anderen Welt.

Hier passiert so gut wie nichts. Auch am Strand lässt jeder völlig sorgenfrei seine Sachen liegen und geht ins Wasser.

Und ausgerechnet hier kommt mir mein Geldbeutel abhanden!

Unsere Unterkunft liegt etwas außerhalb. Vom Dorf sind es etwa zehn Gehminuten einen wunderschönen Weg entlang durchs Grüne.

Wobei die Natur mitunter wie ein künstlich angelegter tropischer Garten wirkt. Passend zu dem Kulissen-Dorf also.

Jedenfalls genießen wir diesen Weg jedes Mal, wenn wir ihn gehen müssen.

Auf der anderen Seite geht ein ebenso schöner Weg den Hügel wieder hinunter, über den man direkt zum dritten Strand kommt. Und genau auf diesem Weg passiert es.

An letzten Kiosk hinter dem Strand, vor dem Weg zurück, kaufe ich etwas zu trinken, da war der Geldbeutel also noch da. Als wir dann in der Unterkunft ankommen, ist er aber nicht mehr in meinem Rucksack. Er muss mir irgendwo aus der Rucksacktasche herausgeflogen sein, vermutlich als ich das Handy rausgezogen habe. Mist.

Wir gehen den Weg nochmals ab, aber finden den Geldbeutel nirgends.

Eine Kreditkarte und 100 Reais (umgerechnet knapp 16 Euro bzw. 10 Caipirinhas) waren in dem Geldbeutel, der Verlust ist also verschmerzbar, aber trotzdem ärgerlich.

Nadine kauft mir in einem der zahlreichen Souvenir-Läden einen neuen Geldbeutel. Zukünftig werde ich also mit einem wunderschönen rosafarbenen Geldbeutel aus Morro de São Paulo bezahlen.

Eingesperrt im Badezimmer

Aber die Sache mit dem Geldbeutel ist nicht das einzige Missgeschick, das mir hier in diesem beschaulichen Morro passiert.

Bevor wir uns mal wieder auf den Weg zu unserem Strand machen, will ich in unserer Unterkunft noch aufs Klo, schließe die Tür zum Badezimmer - und habe plötzlich den Schlüssel in der Hand. Allerdings nur einen Teil davon, der Schlüsselbart steckt noch im Schloss. Und die Tür ist abgeschlossen.

Das ist jetzt irgendwie nicht gut. Wie bekomme ich die Tür wieder auf?
Gar nicht. Ich bin eingeschlossen.

Nadine sucht unseren Vermieter. Es dauert etwas, bis sie ihm die Situation verständlich machen kann. Zunächst findet er das alles noch ganz lustig - bis bei seinem Versuch, die Tür mit einem Ersatzschlüssel zu öffnen, auch dieser abbricht. Und dann alle weiteren Versuche, das Schloss bzw. die Tür irgendwie zu öffnen, ebenfalls scheitern.

Er geht los, um Hilfe zu holen.

Und ich sitze weiterhin in diesem Badezimmer fest. Immerhin gibt es ein Fenster nach draußen. Ich passe da zwar nicht durch, aber dank dieses Fensters haben wir wenigstens eine Versorgungsöffnung. Nadine geht in den Garten und reicht mir erstmal eine Tasse Kaffee hinein. Danke.

Im Laufe der Zeit kommt immer wieder ein Nachbar vorbei, der mit Rat und Tat unterstützen möchte, aber niemand bekommt die Tür geöffnet. Die Methoden werden immer rabiater, und Nadine und ich (und vermutlich auch unser Vermieter) befürchten mittlerweile, dass nach meiner Befreiung das ganze Haus renoviert werden muss.

Mittlerweile wurde damit begonnen, das Dach abzudecken. Da kommt einem der Helfer doch noch eine andere Idee: Er reicht mir durch die Versorgungsöffnung einen Hammer, einen verrosteten Nagel, eine ebenso verrostete Zange und danach sein Handy, auf dem ein YouTube-Video läuft, das zeigt, wie man die Scharniere der Tür auseinanderbaut.

Also mache ich mich an die Arbeit.

Zwei von drei Scharnieren habe ich schon auseinandergebaut bekommen, aber das unterste ist zu nah am Boden, um da mit meinem Spezialwerkzeug (nämlich dem verrostetem Nagel und der verrosteten Zange) richtig ansetzen zu können. Ich probiere es dennoch weiter, und gleichzeitig versucht von außen ein neu eingetroffener Helfer, das Schloss mit Gewalt zu öffnen.

Eigentlich hätte jetzt als krönender Abschluss noch etwas besonderes passieren müssen, beispielsweise hätte sich die Tür mit Schwung öffnen und um das einzige noch verbleibende Scharnier drehen müssen, um mich dann darunter zu begraben - aber nichts dergleichen passiert. Stattdessen: Es klackt und kratzt ein bisschen. Und die Tür öffnet sich.

Ich bin wieder frei!

Land:Brasilien
Ort:Morro de São Paulo
Reisedatum:27.11.2024 - 04.12.2024
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:17.12.2024
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