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Kolumbien
Nuquí

Das lebendige Dorf

Lesedauer: ca. 7 Minuten

In Nuquí gibt es wenig zu sehen, steht im Reiseführer, und damit irrt er gewaltig. Wir verbringen den ganzen Tag damit, durch das Dorf zu schlendern und dem Treiben hier zuzusehen, und uns ist keine einzige Sekunde dabei langweilig.

Ein paar der Einwohner sind mit uns zusammen auf dem Boot hierher gefahren, und da das Dorf nicht allzu groß ist, laufen wir somit eigentlich immer einem Bekannten über den Weg, sozusagen. Aber auch sonst sind die Menschen hier extrem freundlich, selbst gemessen an der in Kolumbien sowieso schon sehr hoch hängenden Messlatte. Und das ist umso erstaunlicher, wenn man sieht, unter welchen ärmlichen Bedingungen die Menschen hier leben.

Nuquí, oder genauer gesagt sogar alles, was wir bisher von der Pazifikküste gesehen haben, wirkt auf uns wie eine afrikanische Version von Kolumbien. Und das nicht nur wegen der Hautfarbe der Menschen. Das alles hier ist so weit weg von den herausgeputzten Kolonialstädten oder den touristischen Orten an der Karibikküste, dass man kaum glauben kann, dass wir uns noch im selben Land befinden. Zwar wirken auch andere Teile des Landes mitunter wie aus der Zeit gefallen, wenn beispielsweise Eselskarren für den Transport von Waren verwendet werden. Aber dort gibt es wenigstens Esel, hier nicht, hier ziehen die Menschen selbst den Karren. Nur zum Beispiel.

Keine Autos, aber eine breite Straße

Vor uns läuft ein kleines Mädchen über eine marode Holzbrücke zu einer breiten, geteerten Straße. Für was ist diese Straße denn gedacht? Ich habe hier noch kein einziges Auto gesehen.
Und dann wird mir klar: das ist die Start- und Landebahn des Flughafens. Tatsächlich wirft kurz darauf ein Flugzeug die Propeller an und rollt in unsere Richtung. Der Pilot winkt uns zu, als wir seinem Flugzeug beim Abheben zuschauen.

Wir gehen zu dem Flughafengebäude, falls man das so nennen kann, und erkundigen uns nach dem Flugplan Richtung Medellin. Aber eigentlich hätten wir das gar nicht machen müssen, denn einige Zeit später kommt ein mit einem Lautsprecher ausgestatteter Mann zu dem zentralen Platz des Ortes, das ist der zwischen den beiden größten Bars, und brüllt aktuelle Flug-Sonderangebote in die Menge.

Nuquí bei Nacht

Wir landen in dem offensichtlich nobelsten Restaurant des Ortes. Sowohl der Innenraum als auch die Tische draußen sehen so schön hergerichtet aus, dass wir uns fragen, ob wir hier richtig sind. Aber umgerechnet nicht einmal 4,50 Euro für ein Fischgericht mit Suppe und Getränk erscheinen bezahlbar, also essen wir hier. Wir bekommen unser Essen sogar auf richtigen weißen Tellern serviert anstatt der sonst üblichen bunten Plastikteller, Luxus pur also.

Im Dunkeln wirkt der Ort mit seiner schummrigen Beleuchtung wirklich schön. Es ist Samstagabend, alle Einwohner aller Altersklassen sind auf der Straße, überall läuft Musik.

Wir laufen Rodrigo über den Weg, der mit uns auf dem Frachtschiff hierher gekommen ist um seine Familie zu besuchen. Er schleppt uns in den Billardsalon. Billard ist eine reine Männerdomäne, Frauen halten sich dort also normalerweise nicht auf. Immerhin befinden sich hier die Pissoirs nicht direkt neben den Billardtischen. Das nämlich habe ich bereits mehr als einmal in Kolumbien gesehen, vermutlich ist das so, damit man jederzeit den Tisch im Blick hat und somit Schummeleien verhindern kann, auch während man sich gerade von den letzten paar Bieren befreien muss.

Rodrigo sieht, wie jemand beim Kartenspiel einen Haufen Geld gewinnt, und kann sich nun nicht mehr zurückhalten, er muss mitspielen. Kurz bevor er sein ganzes Geld verspielt hat, verabschieden wir uns.

Gottesdienst

Ich weiß, über Religion sollte man sich nicht lustig machen, aber wir können unser Lachen kurzzeitig wirklich nicht unterdrücken. Am Abend wurde die kleine schmucklose Kirche gegenüber unserer Unterkunft noch unter Begleitung lauter Salsa-Musik kräftig geputzt, jetzt am Sonntagmorgen ist es soweit: Gottesdienst. Zwar sind offensichtlich nur wenige Menschen gekommen, aber diese wenigen singen dafür umso lauter und inbrünstiger, jeder so falsch wie möglich. Ein kleines Kind kann den Text noch nicht mitsingen und kreischt dafür lauthals la-la-la dazu. Beim Beten des Vaterunsers verausgaben sich alle, die ganze Gemeinde scheint sich jetzt in höchster Ekstase zu befinden.

Während einer Trommel-Session beenden wir die akustische Teilnahme an dem Gottesdienst und machen uns auf den Weg.

Der olympische Strand

Wir wollen heute einen Strandtag einlegen, am Playa Olímpica. Aber um an diesen Stand zu kommen, müssen wir einen breiten Fluss überqueren. Und wir wissen im Moment noch nicht, wie das gehen soll, denn eine Brücke gibt es nicht. Aber wie immer ist alles letztendlich ganz einfach. Ein Stück von uns entfernt kommt gerade ein kleines Boot an und der Bootsführer winkt uns zu sich. Er fährt uns ein ganzes Stück an den Mangroven entlang den Fluss hinauf, bis zu einem Friedhof. Den müssen wir überqueren, dann sind wir am Strand. Wenn wir später wieder zurück wollen, sagt uns der Bootsführer, dann wird Flut sein und dadurch der Wasserpegel im Fluss so hoch, dass Boote wieder an der Anlegestelle gegenüber dem Dorf halten können. Wir müssten nur einen kleinen Weg an dem Hügel entlang zu dieser Anlegestelle gehen, dort käme dann garantiert irgendwann ein Boot vorbei. Also gut.

Der Strand ist recht schön, es gibt viel Naturschatten dank der vielen Bäume und Palmen. Und wir haben die etwa fünf Kilometer Strand fast für uns alleine.

Als wir zurück wollen, finden wir zunächst den Weg nicht und wandern erst mal einige Zeit zwischen Gräbern und Kreuzen umher, bis wir den Pfad an dem Hügel entdecken. Durch dichtes Grün hindurch gelangen wir dann tatsächlich zu einer Anlegestelle, hier müssen wir einige Zeit warten, und dann kommt auch schon ein Boot vorbei, das uns auf die andere Seite des Flusses bringt. Irgendwie sitzen wir während dieser Kolumbien-Reise ganz schön viel in Booten, fällt mir auf.

Gute Fahrt!

Heute, am Sonntag, ist im Dorf nahezu alles geschlossen. Wir finden trotzdem ein geöffnetes Restaurant, das Fischgericht kostet hier umgerechnet nicht einmal drei Euro. Wenn man gerne Fisch isst, ist man hier an der Pazifikküste wirklich gut aufgehoben.

Vier Franzosen, offensichtlich die einzigen anderen ausländischen Touristen hier, kommen ebenfalls in das Restaurant. Sie wollen morgen Nuquí Richtung Buenaventura verlassen, und zwar mit demselben Boot, mit dem wir siebenundzwanzig Stunden lang hierher gefahren sind. Wir wünschen ihnen viel Spaß.

Obwohl es Sonntag ist und somit fast alles geschlossen, sind heute Abend die beiden Salsatheken gut besucht. Und einen Block weiter steht eine riesige Lautsprecheranlage vor dem Haus und es wird auf der Straße getanzt. Mir gefällt dieses lebendige Dorf wirklich sehr.

Land:Kolumbien
Ort:Nuquí
Reisedatum:01.03.2018 - 05.03.2018
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:01.07.2018
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