„Drogas La Economía“ steht über dem Ladengeschäft, und wenn man das in den Google-Übersetzer eingibt, kommt „Drogenwirtschaft“ heraus. Interessant. Google liegt damit zwar ein wenig daneben, das ist mir schon klar, aber trotzdem finde ich es irgendwie bemerkenswert, dass in allen spanischsprachigen Ländern, die ich kenne, die Apotheken „Farmacia“ heißen, außer ausgerechnet in Kolumbien, wo sie „Drogueria“ heißen. Und „Drogas“ verkaufen.
Jedenfalls sind wir nun zum zweiten Mal in Cali, Kolumbiens drittgrößter Stadt. Cali steht auf der aktuellen Top-10-Liste der gefährlichsten Städte der Welt, gemessen an der Anzahl der Morde pro Einwohner. Wie gefährlich es in Kolumbien wirklich ist, darüber gibt es offensichtlich keine Wahrheit. Abends unterhalten wir uns mit einem jungen Kolumbianer, der sich darüber empört, was für einen negativen Ruf Kolumbien hat. Kolumbien wäre ganz anders und war es auch schon immer. Und am nächsten Morgen erzählt uns ein älterer Kolumbianer, dass die vielen positiven Meldungen über Kolumbien Augenwischerei seien. Es gibt noch genug aktive FARC-Rebellen und die ELN sowieso. Und was, denken wir, würde ein Bauer machen, der sein Geld mit dem Anbau von Coca-Pflanzen verdient und damit seine Familie ernährt, wenn man ihm plötzlich sagen würde, er solle das nicht mehr tun? Eben. Kolumbien produziert genau so viele Drogen wie früher, mindestens, und damit wären die Probleme auch noch die gleichen.
In der Mehrheit aber sind die Kolumbianer, mit denen wir uns unterhalten, stolz und glücklich über die positive Entwicklung, die ihr Land in unglaublich kurzer Zeit erfahren hat.
Jedenfalls sind wir bei unserem letzten Besuch in Cali nicht ermordet worden und werden es vermutlich auch dieses Mal nicht, trotz Top-10.
Cali ist die Salsa-Hauptstadt Kolumbiens, und tatsächlich gibt es bei unserem Hostal um die Ecke zahlreiche Salsaclubs und -bars. Und so sind wir ziemlich erstaunt, dass wir nachts in unserem Zimmer keinen Salsa hören, sondern Techno. Der kommt aus irgendeinem Club um die Ecke, woher genau, das können wir nicht orten. Bis neun Uhr morgens geht die Party, nicht schlecht, aber eigentlich wollten wir nach einem kurzen Ausflug in Calis Salsanacht schlafen, denn morgen früh wollen wir wieder weiter.
Obwohl uns Cali wirklich sehr gut gefällt, sind wir diesmal nur auf der Durchreise. Den Stopp legen wir ein, weil wir nicht allzu lange am Stück im Bus sitzen wollen.
Eine Erlebnisreise
Busfahren in Kolumbien ist immer ein Erlebnis. Aber um es wirklich genießen zu können, sollte man besser nicht vorhaben, komfortabel und schnell ans Ziel zu kommen. Obwohl, was das „schnell“ angeht, sind die Busfahrer wirklich bemüht: sie rasen durch Ortschaften, überholen in unübersichtlichen Kurven und nutzen jede Bergabfahrt, um kräftig Schwung zu holen, so dass selbst hartgesottene kolumbianische Fahrgäste mitunter den Fahrer bitten, etwas langsamer zu fahren. Als Sicherheitssystem sind viele Busse mit großen Jesus- und Maria-Bildern ausgestattet. Zusätzlich bekreuzigen sich manche Fahrgäste beim Einsteigen, so dass während der Fahrt nun wirklich nichts schief gehen kann. Dios y Suerte, Gott und Glück, das steht als Slogan auf einem großen Aufkleber im Bus.
Um das Busfahren so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten, gibt es in Kolumbien die unterschiedlichsten Arten an Bussen. Und obwohl wir es eigentlich besser wissen müssten, kaufen wir an einem Busterminal das Ticket zumeist einfach an dem erstbesten Ticketschalter, der eine Fahrt in die richtige Richtung und zu einer akzeptablen Abfahrtszeit anbietet, ohne uns die Mühe zu machen, genauer nach den eingesetzten Bussen zu fragen und die Angebote der einzelnen Unternehmen zu vergleichen. Das spart uns einen Haufen Zeit an den unzähligen Ticketschaltern, dafür sind wir aber immer wieder überrascht, was für eine Busfahrt wir da mal wieder gebucht haben.
Die dreieinhalb Stunden Fahrt nach Cali verbringen wir in einem klimatisierten Bus, wir kommen zügig voran, es läuft Salsa-Musik in angenehmer Lautstärke, also eine recht entspannte Fahrt. Wenn nicht die Frau hinter uns jedes Lied lautstark mitsingen würde. Als andere Sitzplätze frei werden, wechseln wir.
Die Weiterfahrt von Cali nach Popayán verläuft dann etwas anders. Wir sitzen in einem Kleinbus, der bei der Abfahrt nahezu leer ist. Entgegen dem ersten Gedanken ist das alles andere als gut. Denn ein leerer Bus bedeutet, dass dieser Bus noch gefüllt werden muss. Der Fahrer kurvt also durch die Stadtteile Calis, während ein weiterer Mann an der offenen Tür steht und das Fahrziel des Busses in die Welt schreit. Sobald ein Passant nicht ausreichend Desinteresse signalisiert, wird mit ihm diskutiert, wohin er möchte und ob dieser Bus ihn nicht vielleicht näher an sein Ziel bringen würde oder ob er einen kleinen Umweg fahren könnte. Immer wieder geht der Fahrgastfänger auch in Einkaufsläden und Restaurants, die auf dem Weg liegen, um zu versuchen, Leute zur Mitfahrt mit dem Bus zu überreden. Da das mitunter erfolgreich ist, scheint es in Kolumbien wohl üblich zu sein, dass man sich spontan zu einer Reise entscheidet, beispielsweise während man gerade in einem Restaurant sitzt oder ein paar Einkäufe erledigt. Anders kann ich mir dieses Verfahren nicht erklären.
Bei einem Halt, beispielsweise an einer Ampelkreuzung, steigt durch die sowieso dauerhaft geöffnete Tür ein Verkäufer ein und später bei nächster Gelegenheit wieder aus. Dazwischen verkauft er im Bus etwas zu essen oder zu trinken, oder er hält mit Hilfe von Schaubildern einen Vortrag über gesundheitliche Probleme der heutigen Zeit, um anschließend das Wundermittel dagegen anzubieten. Falls also jemand an Diabetes, Kreislaufproblemen oder Potenzstörungen leidet, dem sei eine Busfahrt in Kolumbien empfohlen.
Wenn einmal im Bus nichts passieren sollte, was wirklich selten der Fall ist, dann kann man sich auch etwas im Bus umschauen. Interessant sind zum Beispiel die roten Nothämmer, die mit dickem Kabelbinder an der Halterung befestigt sind, damit sie bei der wackeligen Fahrt nicht herausfallen können. In einem Notfall käme man zwar ohne Werkzeug an die Hämmer nur schwerlich ran, aber egal, immerhin sind sie vorhanden. Oder die Scheibenwischer, die sich auf der Windschutzscheibe überkreuzen. Wie sollen die denn funktionieren? Gar nicht. Als es zu regnen anfängt, muss der Beifahrer regelmäßig aussteigen und versucht, mit einem Besen für bessere Sicht zu sorgen. Mit ziemlich magerem Ergebnis, finde ich, aber dem Busfahrer scheint es zu genügen.
Oder man blickt nach draußen auf die Straße. Plötzlich fährt ein Auto vorbei, von dem man unmöglich glauben könnte, dass es noch fahrtüchtig ist. Oder der Bus überholt gerade einen LKW, der fünf Container transportiert, einen auf der Zugmaschine und dann vier Anhänger hinterher, wie ein Zug auf der Straße. Was es nicht alles gibt.
Ein Clown steigt in den Bus ein. Was er genau vorhat, kann ich nicht in Erfahrung bringen, denn kaum, dass er mit seinem Vortrag beginnt, kommen wir am Busterminal von Popayán an. Endlich. Es wird langsam etwas ungemütlich hier drinnen, weil es durch das Dach hineinregnet.
Klimazonen
Kalt ist es hier. In Kolumbien wird man innerhalb kürzester Zeit von einer Klimazone in eine andere katapultiert. Man sollte immer vorher recherchieren, wie hoch der Zielort liegt, denn es macht temperaturmäßig einen gewaltigen Unterschied, ob das 400 oder 4000 Höhenmeter sind. Achtet man nicht darauf, dann steigt man bei brütender Hitze in kurzen Hosen und T-Shirt in Cali in den Bus - und muss dann beim Ankommen in Popayán kräftig frieren.
Wir machen das sinnvollste, was man bei Regen machen kann, nämlich erstmal im Trockenen bleiben. Im Busterminal trinken wir Kaffee, essen eine Kleinigkeit und warten, bis es zu regnen aufhört. Erst dann machen wir uns auf den Weg in die Altstadt von Popayán.
Die weiße Stadt
Popayán ist eine wirklich schöne Kolonialstadt. Sie wird „Ciudad Blanca“ genannt, also „weiße Stadt“, und das nicht zu Unrecht: Alle Häuser sind weiß, auch die Wolken im Himmel sind weiß, eigentlich ist alles weiß, es fehlt nur noch weißer Schnee auf den Straßen, aber so kalt ist es dann doch wieder nicht.
Offensichtlich ist es aber immer noch nicht weiß genug, denn an ungefähr jedem dritten Haus finden gerade Malerarbeiten statt, natürlich mit der Farbe Weiß.
Sightseeing von innen
Wir verbringen viel Zeit mit der Unterkunftssuche. Auch eine Möglichkeit, sich eine Stadt anzusehen. Und nicht einmal die schlechteste, schließlich kann man sich dabei die Häuser auch von innen ansehen, zumindest die, die Gästezimmer anbieten, und das sind in Popayán eine ganze Menge. Die Häuser aus der Kolonialzeit sind zumeist wirklich wunderschöne Häuser, aber es sind introvertierte Häuser, so würde ich das nennen: es gibt so gut wie keine Fenster nach außen, sondern die Räume öffnen sich nach innen, im Idealfall zu einem großen begrünten Patio, im ungünstigsten Fall in einen dunklen Gang. Die Unterkünfte in Popayán gehören überwiegend zur letztgenannten Kategorie.
Wir entdecken ein Hotel, das Zimmer im oberen Stockwerk hat, die nicht nur ein Fenster nach draußen, sondern sogar einen Balkon haben. Leider sind alle Zimmer belegt, sagt man uns. Laut Booking.com hat dieses Hotel aber noch elf freie Zimmer, also gönnen wir uns den Spaß und buchen dort ein Zimmer, um dann mit der Reservierung in der Hand dort nochmals nachzufragen. Natürlich gibt es immer noch kein freies Zimmer, trotz unserer Buchung, schließlich sollte man schon mindestens einen Tag vorher buchen, sagt man uns, damit das Internet berücksichtigt werden kann. Ah ja.
Wir bekommen dann noch woanders ein wirklich schönes, helles Zimmer angeboten, mit Blick auf den zentralen Platz von Popayán. An Ende unserer Runde entscheiden wir uns aber dann dummerweise für eines der introvertierten Zimmer. In der Nacht fühle ich mich ein wenig wie in einem Sarg, so ohne Bezug zur Außenwelt.
Die Superdusche
Immerhin, man verspricht uns, dass es hier warmes Wasser gibt. Das ist gut, denn während in der Hitze Calis eine kalte Dusche kein Problem war, ganz im Gegenteil, wäre das bei den kühlen Temperaturen hier etwas unangenehm. „Warmes Wasser“ darf man sich jetzt aber nicht so vorstellen, dass man einfach einen bestimmten Hahn aufdreht, und es kommt warmes Wasser aus der Leitung, sondern aus der Leitung kommt immer nur kaltes Wasser. Aber es gibt eine „Superducha“, also eine Superdusche. Das ist ein überdimensionaler Duschkopf, in dem eine Art Tauchsieder eingebaut ist, der das durchfließende Wasser erwärmt. Diese Dinger heißen in Wirklichkeit nicht Superducha sondern irgendwie anders, aber uns sind sie das erste Mal vor einigen Jahren in Kuba begegnet, wo es überall ein Einheitsmodell mit dem Namen „Superducha“ gab, und seitdem nennen wir sie so.
Aus unerfindlichen Gründen sind die Anschlusskabel grundsätzlich nur zwei bis drei Zentimeter lang und werden dann auf abenteuerlichste Weise mit der Stromleitung verbunden, direkt an der zumeist undichten und tropfenden Wasserleitung. Hat man Glück, ist die Verbindung noch mit Isolierband abgeklebt. Wenn man unter der Dusche steht, sollte man sich also besser keine Gedanken über die Wechselwirkungen von Wasser und Stromspannung machen. Meistens haben diese Duschköpfe noch Schalter oder Regler, mit denen man die Temperatur einstellen kann, aber man müsste schon sehr mutig sein, um diese anzufassen und zu bedienen.
Aber zunächst einmal gibt es in unserem Badezimmer gar kein Wasser. Dieses Problem scheint uns auf unserer Reise irgendwie zu verfolgen. Dieses Mal muss jedoch nur der richtige Mann gefunden werden, der weiß, wo man welchen Zulaufregler umstellen muss, und schon fließt das Wasser. Zunächst hat es eine etwas bedrohlich wirkende Farbe, aber kurze Zeit später sieht es in etwa so aus, wie Wasser aussehen sollte.
Die tote Stadt
Mittlerweile ist es bereits dunkel geworden. Popayán ist sehr schön beleuchtet, eine wirklich tolle Atmosphäre. Leider ist die Stadt heute, am Sonntag, wie ausgestorben, fast alles ist geschlossen. Wir haben einige Mühe, etwas zu Essen zu finden, aber es gelingt uns dann doch, wir müssen also nicht mit leerem Bauch in unseren Sarg.
Wir gehen davon aus, dass die Stadt am nächsten Tag lebendiger sein wird, schließlich ist das Wochenende vorbei und alle Geschäfte öffnen wieder. Und so sind wir dann ziemlich erstaunt, dass weiterhin fast alles geschlossen ist und kaum Menschen unterwegs sind. Sogar Juan Valdez, die kolumbianische Starbucks-Variante, ist geschlossen und wir haben einige Mühe, unseren Frühstückskaffee zu organisieren. Wir fragen nach, was da heute los ist: Feiertag. Zu Ehren eines Heiligen, welcher Heilige genau, wisse man spontan leider nicht.
Trotz Feiertag ist aber ein riesiges Aufgebot an Militär, Polizei und Rettungsdiensten unterwegs. Ein großes Areal ist abgesperrt, dahinter befindet sich ein ziemlich baufällig aussehendes Einkaufszentrum mit über fünfhundert kleinen Läden. Dass ein Gebäude baufällig aussieht, das ist in Kolumbien nun wahrlich nichts Außergewöhnliches, aber dieses Gebäude ist tatsächlich baufällig. Und zwar derartig, dass die Verwaltung von einem Tag auf den anderen beschlossen hat, es aus Sicherheitsgründen zu schließen. Fünfhundert Ladenbesitzer haben nun keine Arbeit mehr, sie können nicht einmal mehr ihre Waren aus ihren Läden holen. Mit dieser Situation sind nun einige Leute nicht ganz zufrieden, um es einmal so auszudrücken.
Für uns ist jedenfalls eine ausgestorbene Stadt nicht allzu interessant, auch wenn sie noch so schön und noch so weiß ist, also beschließen wir, weiter zu ziehen. Wenn wir gewusst hätten, was uns erwartet, hätten wir uns das aber vermutlich anders überlegt.
Die Jungfrau Maria
Unser Bus wird laut Plakat von der Virgen del Carmen geleitet, ich kenne mich zwar in dieser Thematik nicht allzu gut aus, aber vermutlich ist das die Jungfrau Maria persönlich. Dem Busfahrer scheint das ausreichend Selbstvertrauen zu geben für gewagte Überholmanöver auf einer matschigen Schotterpiste, neben der es mehrere hundert Meter den Abhang hinunter geht.
Für die etwa 130 Kilometer brauchen wir gut fünf Stunden, es geht über eine Passstraße auf über 3200 Höhenmeter, die meiste Zeit auf einer Schotterpiste, die eigentlich nur aus Schlaglöchern von unglaublichen Ausmaßen besteht. Da wir unser Ticket erst wenige Minute vor der Abfahrt gekauft haben, müssen wir mit den hinteren Plätzen vorlieb nehmen. Und wer schon einmal in einem Bus ohne funktionierende Stoßdämpfer auf einem hinter der Hinterachse liegenden Sitzplatz über eine Holperpiste gefahren ist, der weiß, was das bedeutet.
Land: | Kolumbien |
Ort: | Über Cali nach Popayán |
Reisedatum: | 18.03.2018 - 19.03.2018 |
Autor: | Manuel Sterk |
Veröffentlicht: | 01.07.2018 |
Leser bisher: | 1202 |
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Ciao Yvonne
Ich habe meine Latinos sehr gut wiedererkannt ;-)