Das kolumbianische Dorf San Cipriano liegt wunderschön mitten im tropischen Dschungel, keine Straße führt dorthin. Aber eine Eisenbahnstrecke. Das Problem: Es gibt keine Züge.
Und daher hat man hier in San Cipriano die Brujitas erfunden, auf Deutsch: Kleine Hexen. Brujitas sind aus Holz gebastelte Draisinen, auf die ein Motorrad gestellt wird, dessen Hinterrad über die rechte Schiene das Gefährt antreibt. Auf einer Holzbank sitzen die Passagiere, zusätzlich kann eine Art Vorstellwagen davor geschoben werden, auf dem Waren transportiert werden.
Und so machen wir uns zusammen mit Matratzen, Bettgestellen, Reissäcken und ein paar Einheimischen auf den Weg nach San Cipriano. Der Motorradfahrer gibt kräftig Gas, in mitunter atemberaubender Geschwindigkeit rasen wir durch den dichten Dschungel. Hoffentlich sprechen sich die Brujita-Fahrer irgendwie ab, in welche Richtung die einspurige Strecke jeweils befahren wird.
Baño privado
Einer unserer Mitfahrer, der mit den vielen Matratzen, entpuppt sich als Besitzer eines Hotels. Da wir sowieso nicht wissen, wohin wir sollen, schauen wir uns sein Hotel an. Die Zimmer dort wirken auf uns nicht besonders einladend, dafür sind sie ziemlich teuer. Sie verfügen über ein Baño privado, also ein eigenes Badezimmer, was ja eigentlich eine tolle Sache ist, aber eben nur eigentlich: In Kolumbien bevorzugen wir in der Regel Unterkünfte mit Gemeinschaftsbad, und zwar aus einem guten Grund, denn bei den Zimmern mit eigenem Bad gibt es fast nirgends eine vernünftige Tür zwischen Zimmer und Bad. Möglicherweise sind wir da ein wenig zu empfindlich, aber ich möchte eigentlich nicht auf dem Klo sitzen, während mir meine Freundin vom Bett aus dabei zusieht oder zuhört. Und umgekehrt. Vielleicht kann das der eine oder andere nachvollziehen. Jedenfalls gibt es auch in diesem Hotel keine vernünftige Tür zwischen Zimmer und Bad, genau genommen gibt es gar keine Tür.
Im Vergleich zu allen anderen Unterkünften, die wir auf dem Weg hierher gesehen haben, scheint dieses Hotel aber noch das beste zu sein, also nehmen wir hier ein Zimmer. Was wir nicht wissen konnten ist, dass der Bruder unseres Brujita-Mitreisenden, der sich hier in dem Hotel um alles kümmert, nachts auf dem Boden vor unserem Zimmer schläft und lautstark schnarcht, und wenn er das gerade nicht tut, dann schaut er dort fern, natürlich ebenfalls lautstark.
San Cipriano
Nach einem erstaunlich guten Mittagessen starten wir einen ersten Spaziergang in den Naturpark von San Cipriano: Mitten durch den Dschungel führt ein Weg, von dem aus immer wieder links und rechts kleine Pfade abführen, beispielsweise zu einer Badestelle an dem breiten Fluss mit seinem glasklaren Wasser oder tiefer hinein in den Dschungel, über Holzbrücken und an einem Bach entlang. Wirklich wunderschön hier, die Fahrt nach San Cipriano hat sich definitiv gelohnt, nicht nur wegen der eigenwilligen Verkehrsmittel hierher. Allerdings macht uns die feuchte Hitze so sehr zu schaffen, dass wir recht bald umdrehen müssen.
Die Dorfbewohner von San Cipriano sind sicherlich alles nette Leute, aber nahezu jeder drängt sich uns als Guide zu den Wasserfällen auf, das nervt ziemlich. Ich denke, wir werden die Wasserfälle auch alleine finden, denn soweit wir es bisher gesehen haben sind die Wege hier in dem Naturpark-Dschungel recht gut erkennbar und manchmal sogar beschildert.
Ein Dorfspaziergang durch San Cipriano dauert nicht allzu lange, schließlich besteht das Dorf im Großen und Ganzen nur aus einer einzigen Straße. Knapp fünfhundert Einwohner leben hier, und derzeit scheinen so gut wie keine Touristen da zu sein, entsprechend ausgestorben ist es. Kaum zu glauben, dass hier zur Semana Santa, der Osterwoche, bis zu 6000 Touristen aufschlagen, wie man mir erzählt hat. Wo wohnen die alle? So viele Menschen passen eigentlich nicht einmal auf die Dorfstraße. Obwohl, wenn ich an meine Semana-Santa-Erfahrung in Salento vorletztes Jahr denke, dann kann ich mir ungefähr vorstellen, wie es hier aussehen könnte. Muss man mögen. Im Moment jedenfalls ist alles ruhig, sehr ruhig.
Wir kaufen zwei Bier und schauen den Fußballspielern zu. Dazu läuft Salsa im Hintergrund. Scheint ein angenehmer Abend zu werden. Wir setzen uns an die Straße, zu dem jungen deutsch-belgischen Pärchen, das sich uns auf unserer Unterkunftsuche angeschlossen hat. Stühle holen wir uns von dem Restaurant daneben. Unsere kleine Touristenrunde wird noch ergänzt durch einen deutschen Vogelbeobachter, der schon fast überall auf der Welt gewesen ist. Um Vögel zu beobachten. Natürlich hat er nicht nur Vögel gesehen, denn wenn er schon einmal da ist, schaut er sich natürlich auch alles andere an, was es an den jeweiligen Orten zu sehen gibt. Vogelbeobachten ist also seine Begründung fürs Reisen, so scheint es mir. Warum auch nicht.
Am nächsten Morgen setzen wir unseren Dschungelspaziergang fort. Wir biegen ein in den Sendero del Amor, ein verlockender Name: Liebesweg, so könnte man das vielleicht übersetzen. Ein wunderschöner, enger Weg durch den tropischen Dschungel, vorbei an Bächen und Wasserfällen.
Nur zweimal gestaltet sich das Vorankommen etwas schwierig: einmal blockieren umgestürzte Bäume und Büsche den Weg, das zweite Mal müssen wir durch einen Bach auf eine Art Halbinsel gehen, was sich jetzt deutlich einfacher anhört, als es ist.
Plötzlich landen wir wieder auf dem breiten Hauptweg. Der Sendero del Amor scheint also so etwas wie ein verschlungener Rundweg zu sein. Wir gehen an den großen Fluss, baden. Das Wasser ist klar und nicht allzu kalt. Herrlich. Wir verbringen hier einige Zeit bis zum Sonnenuntergang. Ein paar Leute, die sich auf Gummireifen den Fluss hinunter treiben lassen, kommen vorbei, ein Pärchen aus dem Ort nutzt den Ort am Fluss für etwas Zweisamkeit - ansonsten sind wir hier alleine.
Nach unserer letzten Nacht in San Cipriano kommt beim Frühstücken der Vogelbeobachter zusammen mit einer Gruppe Kolumbianer vorbei. Das sind Schlangen- und Reptilienforscher, teilt er uns ganz aufgeregt mit, und er könnte jetzt mit ihnen zusammen auf eine Expedition in den Dschungel gehen. Wir wünschen ihm viel Spaß und machen uns selbst auf den Rückweg.
Noch einmal mit einer Brujita fahren! Allerdings ist die Fahrt diesmal nicht ganz so angenehm: Unsere Brujita ist derart vollgestopft mit Leuten, dass ich nur noch ein paar Zentimeter Sitzbank für mich habe. Ich versuche, mich irgendwie an einem Gestänge festzuhalten, und kann nur hoffen, dass ich nicht an der nächsten Kurve herausfalle.
Land: | Kolumbien |
Ort: | San Cipriano |
Reisedatum: | 21.02.2018 - 23.02.2018 |
Autor: | Manuel Sterk |
Veröffentlicht: | 01.07.2018 |
Leser bisher: | 581 |
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