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Costa Rica
Stuttgart - San José

Raus aus dem dunklen Lockdown

Lesedauer: ca. 7 Minuten

In Deutschland ist es kalt, dunkel und grau. Und wegen Corona sind alle Bars und Kneipen zu, die Restaurants sind zu, alles ist zu. Der Gedanke ist verlockend, einfach abzuhauen. Aber ob es vernünftig ist, sich in ein gut gefülltes Flugzeug zu setzen, um irgendwohin zu fliegen, wo es genauso Corona gibt?
Vermutlich nicht.

Andererseits, was ist schon vernünftig?
Die Maßnahmen in Deutschland gegen die Ausbreitung des Virus werden immer abenteuerlicher. Man darf sich im Freien nur noch mit einer anderen Person treffen, aber in der Wohnung darf man zu fünft zusammen sein. Vermutlich verfügen die Verantwortlichen über neue Erkenntnisse, nach denen sich das Virus an der frischen Luft stärker verbreitet als in geschlossenen Räumen.

Einige Zeit später darf man dann zuhause nur noch eine Person empfangen. Unsere Freundin darf also uns besuchen, wir aber nicht sie. Offenbar ist es in ihrer Wohnung deutlich gefährlicher als bei uns. Das war mir bisher nicht klar.

Und dann wird eine Ausgangssperre ab acht Uhr abends eingeführt. Bisher konnten wir am späten Abend in den Supermarkt gehen und waren dort fast allein. Jetzt gehen alle zur selben Zeit einkaufen, zwischen Feierabend und erzwungenem frühen Ladenschluss. Und dementsprechend ist es dort proppenvoll. Ich dachte eigentlich, eine der wirksamsten Maßnahmen gegen eine Ansteckung ist die Vermeidung von Kontakten zu vielen Menschen, aber offensichtlich gibt es auch diesbezüglich neue Erkenntnisse.

Immerhin sorgt die Ausgangssperre dafür, dass man sich wieder ein wenig wie ein junger Teenager fühlen kann. Es ist schon ziemlich lange her, dass ich mich von Freunden mit dem Satz verabschiedet habe, ich müsse jetzt gehen, weil ich spätestens um acht zuhause sein muss. Und dann doch noch ein paar Stunden geblieben bin, so dass ich mich nun heimlich nach Hause schleichen muss, in der Hoffnung, nicht erwischt zu werden.

Aber so amüsant und kurios die einzelnen Maßnahmen auch sein mögen, insgesamt führen sie zu einer ziemlich bedrückenden Situation. Und dazu passt das Wetter. Kein Licht, keine Wärme.

Abhauen wäre wirklich toll.
Aber wohin?

Das Reiseziel

Ich darf mich glücklich schätzen, über einen deutschen Reisepass zu verfügen. Denn der öffnet mir die Türen zu fast allen Ländern dieser Welt, als Ausnahme fällt mir spontan nur Nordkorea ein. Und sogar dort war ich schon, zumindest unterirdisch - aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls ist das mit dem Türen öffnen normalerweise so. Derzeit bleiben die meisten Türen zu. Dank Corona.

Nach längerer Internet-Recherche habe ich aber nun ein Land gefunden, das mich einigermaßen problemlos einreisen lassen würde und das mich nicht gleich in Quarantäne stecken will: Costa Rica!

Dort ist gerade Trockenzeit, es dürfte somit warm und sonnig sein - perfekt also. Und soweit ich es recherchieren konnte, entsprechen die dortigen Corona-Regeln in etwa denen bei uns aus dem vergangenen Sommer. Damit kann man sehr gut leben, wenn man gerade im deutschen Winter-Ausgangssperren-Lockdown feststeckt, denke ich.

Die Corona-Zahlen in Costa Rica sind recht gut. Und zudem gibt es dort für den Fall der Fälle eine einigermaßen vernünftige medizinische Versorgung, zumindest im Vergleich mit den meisten anderen mittelamerikanischen Ländern, wobei diese Messlatte zugegebenermaßen nicht allzu hoch gesteckt ist.

Also: Viel spricht nun wirklich nicht dagegen...

Die fehlende Versicherung

Zur Einreise verlangt Costa Rica nicht einmal einen Corona-Test, sondern lediglich eine Bescheinigung, dass man über eine Krankenversicherung verfügt, die bis zu 50.000 Dollar für eine eventuelle Covid-Behandlung sowie 2.000 Dollar für eine eventuelle Quarantäne übernimmt.

Und Letzteres ist ein Problem, denn meine Krankenversicherungen übernimmt keine Quarantänekosten. Nach mehreren Anläufen habe ich aber eine Bescheinigung bekommen, in der diese Tatsache unerwähnt bleibt, dafür aber als Mindestdeckungssumme für Behandlungkosten sogar 100.000 Dollar erwähnt wird. Meine Hoffnung ist nun, dass das beeindruckend genug klingt.

Und tatsächlich wird diese Bescheinigung bei meiner Einreise anstandslos akzeptiert.

Bienvenidos a Costa Rica!

Völlige Überforderung

Für den Start habe ich mir eine Unterkunft in der Hauptstadt San José vorgebucht. Als ich dort ankomme, überfordert mich die Situation völlig: Um das Hostel herum gibt es zahlreiche Bars und Restaurants - und alle sind geöffnet, überall sitzen Menschen, unterhalten sich, lachen, es läuft laute Musik.

Was eigentlich ganz normales Leben ist, kommt mir völlig außergewöhnlich und irgendwie falsch vor.
Ohje, was hat der Winter-Lockdown da in meinem Kopf nur angerichtet?

Jerusalem in China

Am nächsten Tag unternehme ich einen kleinen Spaziergang durch die Stadt. Dabei lande ich unvermittelt in einem chinesischen Viertel. Was es hier nicht alles gibt!
Direkt vor mir in diesem chinesischen Viertel befindet sich der „Almacén Jerusalem“. Und um die Ecke entdecke ich einen kolumbianischen Schnellimbiss. Als Erinnerung an meine Kolumbien-Aufenthalte gönne ich mir dort eine kleine Vorspeise, bevor ich später in einem libanesischen Restaurant essen gehe.

Irgendwie ziemlich international hier alles.

Corona-Regeln

Ich habe mich wirklich bemüht, im Vorfeld die in Costa Rica geltenden Regeln und Maßnahmen herauszufinden, war aber dabei nicht allzu erfolgreich. Was ich aber herausgefunden habe, ist, dass an bestimmten Tagen nur Autos mit bestimmten Kennzeichen unterwegs sein dürfen, während die öffentlichen Busse mittlerweile wieder ohne Einschränkungen verkehren und beliebig vollgestopft werden können. Offenbar ist die Ansteckungsgefahr in diesen Bussen nicht so hoch wie im eigenen Auto, mit dem man allein unterwegs ist.

Da ich aber sowieso kein eigenes Auto habe, nicht einmal daheim in Deutschland, betrifft mich diese Maßnahme nicht sonderlich.
Ansonsten versuche ich einfach, mich so zu verhalten, wie es andere tun: In Gebäuden Maske auf, beim Betreten eines Restaurants auch, zumindest manchmal, ansonsten braucht man keine Maske, außer in der Innenstadt, dort sogar im Freien. Im Hostel weist ein Schild auf die Maskenpflicht hin, aber niemand hat eine auf. Also alles eigentlich ganz einfach.

Läden, Museen, Gastronomie, nichts ist hier geschlossen. Seltsam normal fühlt es sich hier an.

In vielen Geschäften und sogar in manchen Restaurants steht ein Corona-Wachmann an der Tür, der einem ungefragt Desinfektionsmittel in die Hände sprüht und die Körpertemperatur misst.
Wenn man wissen will, ob man Fieber hat, muss man hier also nur in den Supermarkt gehen. Sehr praktisch.

Land:Costa Rica
Ort:Stuttgart - San José
Reisedatum:17.02.2021 - 19.02.2021
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:23.02.2021
Leser bisher:133

Corona hat Gravierenderes verursacht als das Schließen von Bars und Restaurants und ein paar mehr oder weniger merkwürdige Regeln, die unser Leben einschränken. Aber dies hier soll schließlich eine Reiseerzählung bleiben.

Deine Meinung zu dieser Reiseerzählung:


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Nicht so toll
Anice
Hey Manuel, ich wünsche dir eine tolle Zeit. Ich finde, dass dieser Text zeigt wie bescheuert Deutschland die Corona Situation handelt und wie einfach es sein könnte. Hoffentlich bringst du die Wärme und natürlich Lockerung mit.*grins*

Liebe Grüße
Manuel
Hallo Anice, vielen Dank!
Ja, es ist wirklich erstaunlich, wie unkoordiniert und undurchdacht in Deutschland (und anderswo) der Corona-Situation begegnet wird.
Allerdings: Ich bin froh, dass ich kein Politiker bin, denn ich wüsste auch nicht, wie man es wirklich richtig machen könnte. Aber so eben keinesfalls.
Liebe Grüße
Peer
Hi Manu,
danke für deine Geschichten und deinen Blog! Wie immer sehr unterhaltsam geschrieben. Pass auf dich auf und genieße deinen Urlaub wo auch immer du dich wieder rumtreibst :-)
Gruß Peer
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