Vom tropisch-grünen Kolumbien in den trockenen Norden Mexikos, und das in nicht einmal einer halben Stunde, mit dem Tuk-Tuk.
Zumindest scheint es so. Die Landschaft ist trocken. Staubtrocken. Und es ist heiß. Einige Kakteen stehen herum, ein paar Büsche, das wars. Wir befinden uns im Desierto de la Tatacoa, der Tatacoa-Wüste. In der Ferne sieht man die Berge, die mit Gipfeln weit über fünftausend Höhenmetern fast sämtlichen Niederschlag abfangen, so dass hier manchmal über Monate hinweg kein einziger Tropfen Regen fällt. Zwar ist das Gebiet hier keine wirkliche Wüste, aber es ist leicht nachvollziehbar, warum es trotzdem so genannt wird. Über 50 Grad Celsius kann es hier heiß werden, aber das muss ja nicht unbedingt während der Zeit sein, in der wir hier sind, hoffe ich.
Windhosen und Cowboys
Vor unserer Unterkunft befindet sich ein großer, offener Restaurant-Bar-Aufenthaltsbereich, auch ein paar Hängematten gibt es, und da verbringen wir die nächsten Stunden, es ist viel zu heiß für irgendwelche Unternehmungen. Der Wind sorgt für beeindruckende Windhosen, aber Abkühlung verschafft er nicht.
Ein paar Männer sitzen an den Tischen. Mit ihren Hüten, mit ihrer Kleidung, eigentlich mit ihrem gesamten Äußeren sehen sie so aus, als ob sie mit dem Pferd hergekommen wären, denken wir. Und tatsächlich kommt gerade ein weiteres Exemplar dieser Cowboys an, auf dem Pferd. Er will nur schnell etwas abklären, also reitet er kurzerhand direkt in das Restaurant hinein, bleibt mit seinem Pferd zwischen den Tischen stehen, spricht kurz mit den anderen Männern und verschwindet dann wieder. In welchen Film sind wir denn da gerade geraten, fragen wir uns.
Rote Felsen
Irgendwann raffen wir uns dann doch noch auf und starten einen kleinen Spaziergang. Der letztendlich einige Stunden dauert, so fasziniert sind wir von der Landschaft. Zunächst blicken wir von oben auf ein Labyrinth aus roten Felsformationen, dann folgen wir einem Pfad hinunter in dieses Tal. Dort gibt es glücklicherweise einen markierten Weg, denn wer weiß, ob wir ansonsten jemals wieder heraus gefunden hätten. Wir fühlen uns wie in einer anderen Welt, es scheint unmöglich, dass wir heute Morgen noch inmitten von tropischem Grün in einem kleinen Kolonialort gesessen sind und dort Kaffee getrunken haben.
Wir stehen vor einem Schild, das uns verrät, dass man von hier aus fossile Reste von Schildkröten, Fischen und sogar Krokodilen sehen kann. Aber irgendwie stellen wir uns zu dumm an, wir sehen nichts davon. Trotzdem interessant zu wissen, dass diese Wüste wohl nicht schon immer eine Wüste war, anscheinend ganz im Gegenteil, wie die frühere Anwesenheit eben dieser Tiere nahelegt.
Als wir unseren Spaziergang beenden, geht gerade die Sonne unter. Allerdings ist es ziemlich bewölkt, einen richtigen Sonnenuntergang sehen wir also nicht. Nicht weiter schlimm, was aber wirklich gemein ist, ist, dass man wegen dieser Wolken nachher auch keinen Sternenhimmel sehen kann. Denn der soll hier einfach nur gigantisch sein, keine Lichter weit und breit, zumeist trockene und klare Luft, der Himmel der nördlichen und südlichen Hemisphäre über uns ausgebreitet - vielleicht haben wir ja morgen Nacht Glück.
USB
Der Akku des Fotoapparats ist leer, mein Handy ist leer und die Taschenlampe sollte auch besser nochmal aufgeladen werden, bei den häufigen Stromausfällen in Kolumbien ist eine aufgeladene Taschenlampe immer von Vorteil, vor allem hier in der Wüste. Und ausgerechnet jetzt scheint mein Ladegerät nicht mehr zu funktionieren. Mist. Allerdings ist das Problem gar kein Problem, stelle ich fest, denn wir können unsere Geräte am Ventilator aufladen. Kein Witz. Ich weiß wirklich nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, da nachzusehen, jedenfalls hat der Ventilator in unserem Zimmer tatsächlich einen USB-Anschluss, und den nutzen wir jetzt zum Aufladen.
Gammelfleisch
Wir essen in dem Restaurant zu Abend, das zu unserer Unterkunft gehört. Keine gute Idee. Ich habe wohl so heftig Hunger gehabt, dass ich schon zwei oder drei Bissen des Hühnerfleisches zu mir genommen habe, bevor ich den Geruch wirklich wahrnehme. Igitt, so lässt er sich am besten beschreiben. Als ich das der Köchin mitteile, riecht sie kurz an dem Fleisch und bestätigt dann, ja, das wäre wohl nicht mehr essbar. Kann vorkommen.
In der Nacht fängt es heftig an zu gewittern und zu regnen. Da sind wir in einer Art Wüste, angeblich fällt hier schonmal achtzehn Monate am Stück kein einziger Regentropfen vom Himmel, und dann muss es ausgerechnet jetzt so heftig regnen, wenn wir hier sind. Verflixt.
Ein Schwimmbad mitten in der Wüste
Im Laufe des Vormittags hört es zu regnen auf und wir starten einen Wüstenspaziergang. Drei Hunde begleiten uns auf unserem Weg. Wenn sie gewusst hätten, was auf sie zukommt, hätten sie das vermutlich bleiben lassen, und tatsächlich gibt einer der drei unterwegs auf. Aber die anderen beiden bleiben tapfer bei uns. Zu unserem Ziel sind es nur knapp sieben Kilometer, also eigentlich keine besondere Herausforderung, aber eben nur eigentlich. Kaum ist der Regen vorbei, kommt die Hitze. Und wie. Die letzten Pfützen verschwinden, es ist nur noch trocken und heiß. Wie wenn es den Regen gar nicht gegeben hätte. Schatten gibt es keinen, nirgends. Am Anfang haben die Hunde noch die Energie, Ziegen und Kühe zu jagen, wobei die Kuhjagd kein schönes Ende nimmt: eine Kuh stolpert bei ihrem Fluchtversuch, verheddert sich im Stacheldraht und reißt ihn inklusive zahlreicher Pfosten mit. Ich mag nicht daran denken, was sie sich für Verletzungen dabei womöglich zugezogen hat.
Als wir am Ziel ankommen, können wir es gar nicht glauben: Tatsächlich befindet sich hier mitten in der Wüste, eingerahmt in eine Felsenlandschaft, ein Schwimmbad! Drei von Mineralwasser gespeiste Becken gibt es hier, und in eines davon springen wir gleich hinein. Die beiden Hunde müssen mit dem Fußreinigungsbecken vorliebnehmen, danach legen sie sich in den Schatten und rühren sich nicht mehr vom Fleck.
Wir nutzen aus, dass es hier nicht nur die Schwimmbecken gibt, sondern auch einen überdachten Unterstand, und dort verbringen wir die Mittagszeit. In der irren Annahme, dass es danach wenigstens ein klein wenig kühler wird.
Wir begeben uns auf den Rückweg. Uns wundert es nicht, dass man den Weg zu diesem Schwimmbad in der Regel auf einem Pferd oder mit einem Tuk-Tuk zurücklegt und nicht zu Fuß. Uff. Als nach etwa einer Stunde andere Schwimmbadbesucher an uns vorbeifahren, hören wir nur, wie sie sich untereinander beinahe entsetzt zurufen: Das sind doch die zwei aus dem Schwimmbad! Ja, sind wir. Aber wir haben es auch bald geschafft - und zudem sind wir die einzigen, die sich das Schwimmbad richtig verdient haben. Finde ich.
Das Observatorium
Der Himmel hat ziemlich aufgeklart, vielleicht haben wir heute Nacht Glück mit dem Sternenhimmel.
Leider nein. Es sind dann doch noch zu viele Wolken übriggeblieben und zudem ist der Mond viel zu hell. Man sieht zwar Sterne, das schon, aber so wirklich toll ist es nicht.
Wir gehen trotzdem zu einem der beiden Observatorien, die es hier gibt. Es sind zwar nur wenige andere Touristen da, aber dafür eine riesige Schulklasse. Ohje. Es ist recht beeindruckend, einmal die Oberfläche des Mondes durch ein Teleskop zu betrachten oder durch ein anderes Teleskop zu sehen, wie viele Sterne es eigentlich an einer Stelle gibt, an der man beim Blick in den Himmel nur einen einzigen wahrnimmt, finde ich. Nadine geht nach kurzer Zeit zurück zu unserer Unterkunft, während ich noch bis zum Ende der Veranstaltung hier bleibe. Der Leiter des Observatoriums gibt zahlreiche Erläuterungen, zunächst zu den Sternbildern, die man am Himmel sieht, zumindest solange man sie noch sieht, denn die Wolken werden immer dichter, und dann zum Weltall überhaupt, mit Ausflügen in zahlreiche verwandte wissenschaftliche Themen. Merken kann ich mir zwar kaum etwas davon, aber es ist ein wirklich sehr angenehmer Zeitvertreib, auf dem warmen Boden zu liegen, in den Himmel zu blicken und dabei zuhören, was eine fachkundige Person über das zu erzählen weiß, was man da sieht. Hinzu kommt, dass der Vortragende ein derart schönes und verständliches Spanisch spricht, dass es wirklich Spaß macht, ihm zuzuhören - nach all den diversen für mich kaum verständlichen Dialekten, mit denen ich die letzten Wochen konfrontiert war. Ich stelle mir vor, dass es ähnlich wie mir auf dieser Reise einem Ausländer bei uns ergehen muss, der ein wenig Deutsch gelernt hat und dann eine Reise von der Schwäbischen Alb über Hessen nach Ostfriesland unternimmt.
Kurzschlusswürmchen
Nachdem wir letzte Nacht wegen des Lärms, den das Gewitter und der Regen veranstaltet hat, kaum schlafen konnten, hoffen wir, diesen Schlaf heute Nacht nachholen zu können. Aber zunächst einmal fliegen in unserem Zimmer Kurzschlusswürmchen umher. Zumindest würde ich sie so nennen. Keine Ahnung, was das für Tierchen sind, aber normale Glühwürmchen sind das auf keinen Fall: Diese hier flattern plötzlich hektisch hin und her und geben dabei Blitze ab, wie wenn man zwei Stromdrähte leicht aneinanderhält und dadurch einen Kurzschluss verursacht. Solange diese Kurzschlüsse nur an der Decke herumfliegen, ist das alles ja noch ganz nett, aber wenn sie dem Bett zu nahe kommen, dann irgendwie nicht mehr. Gestern ist so ein leuchtender Käfer auf Nadine geflogen, das hat ihr heftig weh getan.
Später dann, das darf doch wohl nicht wahr sein, fängt es wieder zu gewittern an. Und wie. Weltuntergangsregen. Von wegen Wüste.
Sentrö
Am nächsten Morgen steht direkt neben unserer Unterkunft ein Kleinbus mit dem Fahrziel Neiva, das ist die nächstgelegene Großstadt. Laut Reiseführer gibt es dort nichts besonders Interessantes zu sehen und es würde sich nicht lohnen, dort Zeit zu verbringen. Also wollen wir genau da hin. Daher ist es ziemlich praktisch, dass nun dieser Kleinbus vor unserer Tür steht. Der Fahrer ist noch am frühstücken, aber sobald er damit fertig ist, wird es losgehen.
Wir wundern uns immer wieder, wie Reisende, die weder Spanisch noch Englisch sprechen, eigentlich zurecht kommen. Anhand eines älteren französischen Paares, das mit uns in dem Kleinbus sitzt, können wir das nun beobachten. Die Frau fragt den Fahrer so etwas wie „Stöp Saturno para Möschila?“, und tatsächlich gelingt es dem Fahrer nach einiger Zeit, daraus den Schluss zu ziehen, dass er an dem Hostal „Noches de Saturno“ anhalten soll, weil die beiden dort ihre Rücksäcke abladen oder entgegennehmen wollen. Nicht schlecht. Und dann fragt sie „Sentrö?“, der Fahrer schmunzelt und bestätigt, dass er im Zentrum von Villavieja anhalten wird. Für was habe ich eigentlich Spanisch gelernt?
Unser Kleinbus kommt auf der matschigen Straße gut voran, anders als das Polizeiauto, das feststeckt. Eine besondere Begeisterung, der Polizei zu helfen, entwickelt sich irgendwie nicht.
Mangels ausreichender Anzahl an Fahrgästen fährt unser Kleinbus letztendlich doch nicht nach Neiva, aber wir können in Villavieja problemlos in einen anderen Kleinbus umsteigen, mit ausreichend Zeit dazwischen, um einen Kaffee zu trinken. Perfekt also.
Neiva
Von wegen, in Neiva gibt es nichts Interessantes: Wir entdecken ausreichend Kurioses, beispielsweise den Monsterturm, wie auch immer der in Wirklichkeit heißt: das ist ein etwa vierstöckiger Turm auf einer quadratischen Grundfläche, im Inneren führen Treppen nach oben. Die Vorderseite ist mit einem riesigen Monstergesicht verkleidet. Gut, dass der Zugang abgesperrt ist, somit kommen wir gar nicht erst in Versuchung, das Monster zu besteigen.
Das Monster liegt direkt am Malecón, dem schön grünen Ufer des Rio Magdalena. Zahlreiche Restaurants gibt es hier mit unzähligen Tischen im Grünen, das sieht eigentlich ganz nett aus, aber keines der Restaurants hat Gäste. Danach folgen am Malecón zahlreiche Läden, oder genauer gesagt: Boxen, in denen vielleicht mal Läden waren, die Leerstandsquote liegt hier bei geschätzten neunzig Prozent. Noch ein Stück weiter weist uns eine Passantin darauf hin, dass wir den nun folgenden Uferbereich besser meiden sollten, wegen hoher Überfallgefahr. Danke für den Hinweis.
Die Innenstadt von Neiva ist eigentlich recht nett, der Tag lässt sich hier wirklich gut verbringen. Wir sind anscheinend die einzigen Ausländer in der Stadt. Und offensichtlich verirren sich auch ansonsten nur wenige hierher: Abends wird uns vor lauter Begeisterung, dass wir hier sind, ein Bier ausgegeben. Nicht schlecht. Dabei haben wir zunächst einmal Probleme, überhaupt einen angenehmen Ort zum Biertrinken zu finden: Zwar entdecken wir eine Straße, in der sich zahlreiche Bars befinden, nur: die Musik ist dort überall derart laut, dass eine Unterhaltung vollkommen ausgeschlossen ist. Wir wollten uns aber eigentlich nicht anschweigen. Letztendlich finden wir dann doch noch eine Bar, in der sich die Lautstärke der Musik zumindest an den Tischen draußen noch im Rahmen hält. Und dort verbringen wir unseren letzten Abend dieser Reise, zumindest den letzten Abend im Warmen. Draußen sitzen, ein kühles Bier, lateinamerikanische Musik dazu, es gibt wahrlich Unangenehmeres.
Nachdem wir nun zwei Nächte hintereinander in der angeblichen Wüste durch Gewitter und lautem Regen am Schlafen gehindert wurden, hoffen wir nun, wenigstens heute Nacht etwas mehr Schlaf abzubekommen, bevor wir dann morgen früh nach Bogotá zurückfliegen. Aber daraus wird nichts: Dem Nachtportier unseres Hotels war es wohl zu langweilig, und so hat er ein paar Kumpel zum Kiffen eingeladen. Die lauten Stimmen und der Rauch landen direkt in unserem Zimmer. Eine Bitte, leiser zu sein, ebenso wie eine Bitte, nicht mehr zu kiffen, würde in Kolumbien wohl auf einiges Unverständnis stoßen, also bleibt als Möglichkeit nur, das Zimmer zu wechseln. Das alternative Zimmer wäre dann aber direkt an der Hauptstraße, und knatternde Motorräder und brummende LKWs sind jetzt auch nicht unbedingt viel angenehmer, vor allem, weil hier schließlich kein TÜV auf die Einhaltung von Lärmgrenzwerten achtet.
Also werden wir wohl morgen unausgeschlafen nach Bogotá fliegen müssen.
Land: | Kolumbien |
Ort: | Desierto de la Tatacoa |
Reisedatum: | 22.03.2018 - 24.03.2018 |
Autor: | Manuel Sterk |
Veröffentlicht: | 01.07.2018 |
Leser bisher: | 324 |
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