Unser Aufenthalt im Dschungel beginnt sehr entspannt. Aber dann fängt es zu regnen an. Und hört nicht mehr auf. Die Flüsse sind nicht mehr passierbar, niemand kommt mehr hierher oder von hier weg. Wir sind gefangen.
Die Anreise
Ein Geländewagen aus den Siebzigern erwartet uns. Anders als sein Zustand vermuten lässt fährt er noch einwandfrei. Lediglich Öl muss unser Fahrer unterwegs nachfüllen, da dieses aufgrund mir unbekannter technischer Zusammenhänge vor den Fahrersitz tropft und somit im Motor fehlt.
Mit einem Tuch werden ein paar Löcher im Boden gestopft und damit die Menge der heißen Abgase reduziert, die in den Innenraum gepustet werden.
Und so holpern wir über Schlamm- und Schotterpisten Richtung Nationalpark Amboró. Wir werden dabei derart durchgeschüttelt, dass mein Rücken nun vermutlich nur noch aus einem Bandscheibenbrei besteht.
Aber an der Verbesserung der Straßenverhältnisse wird bereits mit Hochdruck gearbeitet: Ein kleiner Junge ist dabei, mit einer Schaufel ein großes Schlagloch aufzufüllen. Dafür bekommt er von den vorbeikommenden Autofahrern ein paar Münzen in die Hand gedrückt.
Und nun kommt der erste Fluss. Brücken gibt es hier keine. Wasserpegel und exakter Verlauf des Flusses scheinen sich täglich zu ändern, so dass zunächst einmal ausgekundschaftet werden muss, ob und wo man mit dem Fahrzeug durchkommt.
Und dann schaltet der Fahrer mit ein paar Handgriffen an Rädern und Getriebe auf Allradantrieb um und los gehts. Wir schwimmen mit dem Auto durchs Wasser, sozusagen. Eine ganz schön kräftige Strömung herrscht hier, wir treiben ein wenig ab, aber erreichen letztendlich die andere Uferseite.
Diese Aktion soll sich nun noch ein paar Mal wiederholen, dazwischen fahren wir durch dichten Dschungel.
Unterwegs gabeln wir unsere Köchin auf. Sie hat noch einen vierjährigen Jungen dabei, der schlichtweg Niño genannt wird, was das spanische Wort für Junge ist. Als wir ihn fragen, wie er heißt, antwortet er spontan: Niño.
Vor dem letzten Fluss ist Schluss mit der Autofahrt, die verbleibenden Kilometer müssen wir zu Fuß gehen. Unser Fahrer verabschiedet sich bei uns. Nun übernimmt der Vierjährige das Kommando und lotst uns durch den Dschungel. Als ich einmal nicht exakt in seiner Spur bleibe, stehe ich plötzlich in tiefem Matsch. Mist.
Plötzlich flüchtet direkt hinter mir eine Schlange ins Dickicht. Oha. Die habe ich gar nicht bemerkt. Und unser vierjähriger Führer auch nicht, dafür bekommt er erstmal einen Anschiss von der Köchin.
Ein entspannter Auftakt
Wir kommen an unserem Camp an. Mitten im Dschungel stehen hier ein paar Hütten, sehr idyllisch.
Ich beseitige zumindest die größten der in beziehungsweise an unserer Hütte wohnenden Spinnen, und dann ruhen wir uns in den Hängematten ein wenig aus, während sich unsere Köchin um unser Mittagessen kümmert. Ein sehr entspannter Auftakt also für unseren Dschungelaufenthalt.
Mittlerweile ist auch unser Führer eingetroffen, diesmal einer, der etwas älter als vier Jahre ist, und mit ihm starten wir unsere erste Dschungelwanderung.
Noch können wir nicht wissen, dass das auch unsere letzte Dschungelwanderung sein wird, zumindest unsere letzte, die wir zum Vergnügen machen.
Wir sind gefangen
In der Nacht fängt es heftig an zu regnen. Und hört nicht mehr auf. Unglaublich, welche Wassermassen da vom Himmel kommen.
Und das ist jetzt ein Problem für uns.
Die Flusspegel steigen. Fahrzeuge kommen nicht mehr durch. Die ersten vier Flüsse könnte man noch zu Fuß schaffen, werden wir informiert, aber das Problem ist der letzte Fluss. Vermutlich kommt man da nicht mehr hindurch. Wir wären dann hier im Dschungel gefangen.
Wir machen uns trotzdem auf den Weg, begleitet von unserem Führer, der Köchin und Niño.
Eigentlich sind es nur elf Kilometer, aber mir kamen elf Kilometer noch nie so lang vor. Der Weg besteht nur aus Schlamm. Und dann sind da diese Flüsse. Die sind heute um ein Vielfaches breiter als gestern.
Das Wasser reicht bis zur Hüfte, dazu herrscht eine heftige Strömung. Und trotzdem müssen wir da durch.
Immerhin, durch den starken Regen sind wir bereits derart durchnässt, dass wir kaum noch nässer werden können, wenn wir nun durch diese Flüsse gehen.
Zusätzlich zu den Flüssen haben sich ein paar Bäche gebildet, die da eigentlich gar nicht hingehören. Sogar unser Führer ist überrascht, wo hier überall Wasser fließt.
Aber wir kommen voran. Wenn auch ziemlich langsam.
Niño friert mittlerweile heftig. Irgendwann kommen wir an einem Haus vorbei, da biegt die Köchin zusammen mit ihm ab, damit er sich dort aufwärmen kann.
Wir hingegen gehen zusammen mit dem Führer weiter zum letzten Fluss.
Und was wir dort sehen, das raubt uns die Hoffnung, heute noch zurück nach Buena Vista zu kommen: Der Fluss ist endlos breit, tief und auf der starken Strömung bewegt sich eine Menge Treibholz mit viel Schwung flussabwärts. Keine Chance, diesen Fluss irgendwie lebend zu durchqueren.
Was wir nun machen könnten, frage ich unseren Führer. Sichtlich überfordert antwortet er, er wisse es auch nicht, etwas anderes als Warten könnten wir nicht tun. Vielleicht sieht die Situation in ein paar Stunden besser aus. Sofern es irgendwann zu regnen aufhört.
Wir schlagen vor, dass wir die Wartezeit nicht hier im Regen verbringen, sondern dass wir die drei oder vier Kilometer zurück zu dem Haus gehen und dort warten.
Das machen wir dann auch, und dort angekommen können wir uns ins Trockene setzen, das ist schon mal viel wert.
Und nun warten wir. Darauf, dass der Regen aufhört. Denn solange es weiter regnet, besteht keine Hoffnung, dass der Flusspegel wieder sinkt.
So wie es aussieht sind wir tatsächlich hier gefangen. Wer weiß, wie lange. Nach zwei Tagen Regen, erfahren wir, wäre der Fluss für längere Zeit unpassierbar.
Unser für morgen gebuchter Flug wird wohl ohne uns starten. Und wir haben keine Ahnung, wie es nun weitergeht. Vermutlich verbringen wir Weihnachten in dem Stall neben diesem Haus. Was ja ziemlich passend wäre.
Der Fluss
Aber dann hört der Regen plötzlich auf. Ein paar Stunden später sind die Einheimischen der Meinung, man könnte sich nun den Fluss nochmals ansehen. Also machen wir uns in gewohnter Runde auf den Weg, auch Niño kommt wieder mit. Ich wusste gar nicht, dass Vierjährige völlig problemlos derart viele Kilometer laufen können, und das in zügiger Geschwindigkeit und ohne ein einziges Murren. Und nebenher erklärt er uns alles, was er über Flora und Fauna seiner Umgebung weiß.
Wir kommen an dem großen Fluss an. Der Wasserpegel ist tatsächlich etwas gesunken, mindestens um einen Meter, erklärt man uns, aber für uns sieht es trotzdem nicht so aus, als ob wir da durchkommen könnten.
Anderseits, ein Stück flussabwärts sind einige Leute gerade dabei, sich gegenseitig festhaltend den Fluss zu durchqueren.
Aber dann: Sie haben Schwierigkeiten, einen kleinen Jungen über Wasser zu halten.
Alle am Fluss Anwesenden halten die Luft an.
Es geht gut aus.
Die Gruppe hat es zu uns herüber geschafft.
Unsere Runde vergrößert sich, man diskutiert, wo und wie wir es schaffen könnten. Und dann steht der Plan: Wir machen es.
Ich bin in einer Dreiergruppe dabei. Wir versuchen, uns gegen die Strömung zu stemmen und uns dabei gegenseitig zu stützen. Das Wasser reicht mir bis zum Bauch. Gefühlte Stunden gehen wir Schritt für Schritt vorwärts. Vermutlich sind es in Wirklichkeit nur ein paar Minuten. Und dann: Wir haben es geschafft!
Ein erfahrener Flussdurchquerer geht zurück, um Nadine abzuholen. Dabei rutscht er an ein paar Steinen aus und fällt. Ein Bein ist daraufhin komplett aufgeschürft, aber ohne sein Gesicht zu verziehen kommt er bei Nadine an. Er packt sie fest am Arm. Los gehts. Schritt für Schritt.
Ein Baumstamm oder ein dicker Ast rammt ihr Bein. Trotzdem, weiter!
Nadine erreicht das Ufer. Einen Schritt noch und sie ist bei mir. Geschafft!
Wir warten, bis alle den Fluss durchquert haben. Das dauert seine Zeit. Aber am Ende ist jeder auf der Uferseite, auf die er wollte, ohne dass es gravierende Zwischenfälle gab.
Der zweite Flussarm
Wir haben lediglich eine Insel erreicht, der Fluss hat sich davor gespalten und geht hinter der Insel weiter, wir müssen ihn also nochmal durchqueren.
Allerdings soll der zweite Arm beiweitem nicht so tief und viel einfacher zu durchqueren sein, beruhigt man uns.
Also gut. Ab ins Wasser.
Eigentlich ist das hier eine wunderschöne Szenerie: Am anderen Ufer des Flusses wartet dichtes und hohes tropisches Grün auf uns, ein schmaler Weg führt hindurch.
Und dieser Weg ist nun unser Ziel.
Einer nach dem anderen erreicht diesen Weg. Dann ein kleines Stück bergauf. Und jetzt haben wir es endgültig geschafft. Niño taucht aus dem Dickicht auf, nun sind alle da.
Zwanzig Kilometer sind es noch bis Buena Vista, wo eine heiße Dusche und ein Bett auf uns warten. Wir müssen Weihnachten also doch nicht in einem Stall schlafen.
Land: | Bolivien |
Ort: | Nationalpark Amboró |
Reisedatum: | 21.12.2018 - 22.12.2018 |
Autor: | Manuel Sterk |
Veröffentlicht: | 23.12.2018 |
Leser bisher: | 324 |
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