Wer auf Action-Filme mit viel Krach, viel Gewalt und vielen Toten steht, der wird die stundenlangen Busfahrten in Südamerika lieben.
Es ist immer wieder beeindruckend, mit was für sinnentleerten, schlecht synchronisierten B-Movies die Busunternehmen aufwarten, um ihren Kunden die offensichtlich für eine Busfahrt zwingend erforderliche Beschallung mit lauten Schreien und Maschinengewehrgewittern bieten zu können. Aber vielleicht ist dieser Krach gar nicht das Entscheidende, sondern wichtig ist nur, dass immer und überall ein Fernseher läuft, vollkommen egal, was dort gezeigt wird.
Jedenfalls werden wir auch bei dieser Busfahrt nicht enttäuscht. Wir sind unterwegs vom argentinischen Mendoza ins chilenische Valparaíso, mindestens acht Stunden Fahrt stehen uns bevor.
Wir konnten im oberen Stock des Doppeldeckerbusses die vordersten Plätze ergattern. Und hätten somit beste Sicht in die Landschaft, durch die wir fahren. Wenn es nicht so heftig regnen würde, denn daher sehen wir eigentlich gar nichts.
Aber dann, von einem Moment auf den nächsten, kämpft sich die Sonne durch. Es kommt ein wenig Farbe zum Vorschein, das Grau verschwindet allmählich. Und plötzlich sehen wir die hohen Gipfel der Anden vor uns.
Völlig unbeeindruckt davon läuft neben uns lautstark die Flimmerkiste. Ein Superhelden-Film, glaube ich.
Los Libertadores
Mitten in den Anden, auf über dreitausend Metern Höhe, taucht der chilenische Grenzposten Los Libertadores vor uns auf.
Etwa zwei Stunden benötigen wir hier für die Grenzformalitäten: Nach einer ausgiebigen Wartezeit gehen wir zusammen mit den übrigen Passagieren unseres Busses im Gänsemarsch zur Passkontrolle. Der Busbegleiter hat allerhand zu tun, um seine Schäfchen unter Kontrolle zu halten.
Derweil wird am Bus das gesamte Gepäck ausgeladen, damit es kontrolliert werden kann.
Unser Handgepäck müssen wir auf einen langen Tisch legen. Wir fragen uns, was nun damit passiert.
Zunächst einmal passiert nämlich gar nichts.
Gepäckkontrolle
Dann kommt ein Hund zu unserem Gepäcktisch, genauer gesagt sogar auf unseren Gepäcktisch. Dort macht er das, was vermutlich die meisten Hunde dieser Welt einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit machen, nämlich nach etwas Essbaren schnuppern. Aber dieser Hund macht dies im staatlichen Auftrag.
Die Einfuhr von Lebensmitteln ist in Chile strikt verboten, selbst ein Apfel kann zu erheblichem Ärger an der Grenze führen. Ich habe von einem Fall gelesen, bei dem sogar eine extra vorher geleerte Pfeffermühle zu zweihundert Dollar Strafe geführt hat, weil sich noch ein oder zwei Pfefferkörner im Mahlwerk befunden haben.
Es wäre sicherlich interessant zu erfahren, was der Hund machen würde, wenn wir ein Stück argentinisches Rindfleisch dabei hätten, und vor allem, ob er es dann fressen darf oder nicht, aber vermutlich ist es keine allzu gute Idee, das auszuprobieren.
Mit den strikten Kontrollen möchte Chile den Import von Schädlingen, Seuchen und nicht-heimischen Tier- und Pflanzenarten verhindern. Ein durchaus nachvollziehbares Ziel. Vorallem, wenn man die durch die Anden abgetrennte Lage Chiles berücksichtigt, manche sagen: am Ende der Welt. Dadurch ist Chile eigentlich ziemlich gut geschützt davor, dass sich Tiere und Pflanzen von den Nachbarländern hierher begeben könnten. Wenn es nicht uns Menschen geben würde, die wie wild durch die Weltgeschichte reisen und dabei alles überall dorthin mitnehmen, wo es nicht hingehört. Wir werden also vollkommen zurecht derart aufwändig kontrolliert, finde ich. Zumindest leuchten mir diese Kontrollen eher ein als beispielsweise das Verbot der Trinkwassermitnahme auf einem deutschen Inlandsflug.
Jedenfalls wird der Hund anschließend noch durch unseren Bus gejagt, und da er auch dort nichts findet, nicht einmal eine Pfeffermühle, dürfen wir nach Chile einreisen.
Das Schlaraffenland
Bereits an dem Kiosk beim Grenzposten fühlen wir uns wie im Schlaraffenland.
In Argentinien gab es kaum etwas zu kaufen, das nicht auch in Argentinien hergestellt wurde, und das schränkt die Auswahl mitunter doch erheblich ein. Und wenn man dann wie wir gut sechs Wochen in diesem Land unterwegs ist, steigert sich unweigerlich die Lust auf all das, was es dort eben nicht gibt.
Und jetzt das: Mitten im Nichts auf einem Anden-Pass, aber eben nicht mehr auf argentinischer sondern auf chilenischer Seite, gibt es alles. Sogar Ritter-Sport-Schokolade aus unserer Heimat könnten wir hier kaufen.
Am Abend, bereits in Valparaíso angekommen, stoßen wir auf ein thailändisches Restaurant. Nach unseren Erfahrungen der letzten Wochen rechnen wir nicht damit, dass es dort wirklich so etwas wie thailändisches Essen gibt, wir sind aber mutig und probieren es aus. Und werden äußerst positiv überrascht.
Sogar Gemüse gibt es hier. Wir können es kaum glauben. Denn in Argentinien gab es eigentlich ausschließlich Fleisch zu essen. Und dazu noch mehr Fleisch. Unvergesslich wird uns der Nachmittag bleiben, als wir ungeplant in ein Asado hineingeraten sind, eine argentinische Grillfeier, an der wirklich unglaubliche Mengen an Fleisch auf dem Grill gelandet sind. Und noch unglaublicher war, dass außer uns niemand Probleme damit hatte, diese Fleischmassen auch zu verzehren.
Pancho (Hotdog), Milanesa (fritiertes Schnitzel), Choripán (Sandwich mit Würstchen) und so weiter, gerne auch als Super-Pancho oder Super-Milanesa im Angebot, so sieht die argentinische Speisekarte aus. Und wer dabei an das weltbekannte argentinische Rindfleisch denkt, der war vermutlich noch nie in Argentinien.
Diese Fokussierung auf Fleisch scheint dort eine lange Tradition zu haben. Ich habe kürzlich ein Buch gelesen über eine Mitte des neunzehnten Jahrhunderts unternommene Südamerika-Reise. Kurz nachdem der Autor Buenos Aires verlassen hatte, stellte er erstaunt fest:
„Fleisch ist die einzige Nahrung; der Südamerikaner ißt hier wirklich Fleisch zu Fleisch, und alles fast was er braucht weiß er den Thieren die er schlachtet abzugewinnen.“
Kein Wunder also, dass uns nun Chile wie das Schlaraffenland vorkommt. Denn hier gibt es tatsächlich noch andere Lebensmittel als nur Fleisch.
Land: | Chile |
Ort: | Los Libertadores |
Reisedatum: | 28.02.2015 |
Autor: | Manuel Sterk |
Veröffentlicht: | 03.10.2018 |
Leser bisher: | 102 |
Das in dieser Reiseerzählung erwähnte Buch hat den naheliegenden Titel "Südamerika", geschrieben von Friedrich Gerstäcker. Seine Südamerika-Reise endete übrigens genau dort, wo wir gerade angekommen sind, in Valparaíso. Ein sehr lesenswertes Buch, finde ich, wenn man ein wenig über die Reisebedingungen der damaligen Zeit erfahren möchte. Und über die Gedankenwelt eines Reisenden zu dieser Zeit. Ich bin mir noch nicht sicher, bei welchem dieser beiden Aspekte die Unterschiede zu heute größer sind.
Und ja, das mit dem Essen in Argentinien habe ich vielleicht ein wenig überspitzt dargestellt. Dennoch, Argentinien zählt definitiv zu meinen Lieblings-Reiseländern und die Menschen dort sind mir wirklich ans Herz gewachsen - aber das argentinische Essen... Nun ja.
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