REISE
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Guatemala
Rio Dulce

Der Gott der Ruhe

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Wir gönnen uns eine Unterkunft, die in einer deutlich höheren Preisklasse liegt als sonst. Aber nach dieser Erfahrung werden wir das vermutlich kein zweites Mal machen.

Unser Plan war, dass wir auf unserem Weg an die Karibikküste Guatemalas einen Zwischenstopp in einer Lodge am Rio Dulce, dem „süßen Fluss“, einlegen und morgen mit einem Boot auf eben diesem Fluss bis zur Karibikküste fahren.

Und für diesen Zwischenstopp haben wir eine „Ecolodge“ gewählt, was ja schon mal gut klingt.

Und eigentlich ist diese Lodge wirklich schön. Mehrere Hütten sind über das Wasser gebaut, durch Stege miteinander verbunden und von dichter dschungelartiger Vegetation umgeben.

Aber „eco“ ist hier gar nichts. Die Hütten sind mit Klimaanlagen ausgestattet, und obwohl man diese zur Zeit aufgrund der relativ kühlen Temperaturen gar nicht benötigen würde, muss man sie trotzdem nutzen, weil man die Fenster nicht öffnen kann. Und direkt vor unserer Hütte befindet sich eine weitere Hütte, in welcher der Maschinenpark der Lodge untergebracht ist. Kontinuierlich gehen hier irgendwelche Geräte an, so dass man davon ausgehen muss, dass diese Ecolodge versucht, möglichst viel Energie zu verbrauchen.

Auch in der Küche und an der Bar gibt es eine beeindruckende Sammlung an elektrischen Geräten, so etwas habe ich hier in Guatemala bisher noch nirgends gesehen.

Die Speisekarte wird auf einem iPad gereicht. Und darauf befindet sich kein einziges lokales Gericht, sondern ausschließlich internationale Gerichte zu beeindruckenden Preisen.

Ganz offensichtlich habe ich den Begriff Ecolodge bisher falsch verstanden.

Bei all dem Gebrumme der Geräte wäre es das schönste, wenn es einen nicht behebbaren Kurzschluss gäbe, so dass alles ruhig wird, sage ich zu Nadine.

Und dann, etwas später beim Abendessen, hört man tatsächlich einen Knall und das Licht flackert. Aber die Geräte laufen weiter. Schade.

Peng. Ein heller Blitz aus Richtung der hinteren Hütten.

Der Strom ist weg.

Normalerweise ist ein Stromausfall nichts, was in Guatemala irgendwelche Probleme verursachen würde, allein schon deshalb, weil hier Stromausfälle an der Tagesordnung sind.

Eine Taschenlampe haben wir, wir bräuchten eigentlich nur noch einen Eimer, sagen wir der Chefin der Lodge, um Wasser für die Klospülung aus dem Fluss holen zu können, da ohne Strom natürlich auch keine Wasserpumpe funktioniert. Damit wäre für uns alles perfekt, sagen wir ihr.

Aber die Chefin möchte offensichtlich nicht, dass es irgendwelche Einschränkungen gibt. Also wird Kraftstoff in das Notstromaggregat gefüllt und der Motor angeworfen. Der Lärm ist unglaublich. Aus welchem Jahrhundert stammt dieses Gerät?

In unserer Hütte stinkt es nach Abgasen, schließlich befindet sie sich direkt hinter der Maschinenhütte. Aber man kann sich sowieso nicht in dieser Hütte aufhalten, denn hier ist es so laut, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen kann.

Die Chefin verspricht uns, das Notstromaggregat demnächst auszuschalten, was aber doch noch knapp zwei Stunden dauert.
Aber dann können wir ins Bett gehen. Es ist herrlich ruhig, man hört nur Grillenzirpen und weit entfernt ein paar Brüllaffen. Traumhaft.

Ich weiß nicht, zu welchem Gott ich da eine Verbindung aufgebaut habe, dass mein Kurzschluss-Wunsch erhört wurde. Gibt es einen Gott der Ruhe?

Während ich diese Zeilen schreibe, ein paar Tage später an einem Nebenfluss des Rio Dulce, dem Rio Tatin, gemütlich in einer Hängematte liegend, läuft etwas entfernt auch ein Stromaggregat. Zwar bei weitem nicht so laut, aber trotzdem die Idylle störend.

Und genau jetzt, kaum habe ich oben „Gott der Ruhe“ zu Ende geschrieben, geht auch dieses Stromaggregat aus. Oha. Meine Verbindung zum Gott der Ruhe muss ich ausbauen.

Jedenfalls, die Ruhe in der Ecolodge dauert nur bis sechs Uhr morgens, dann wird das Höllenaggregat wieder eingeschaltet. Die Vibrationen des Motors schütteln uns beinahe aus dem Bett. Ausschlafen kann man hier also definitiv nicht.

Als wir etwas später an die Rezeption gehen, um zu bezahlen, unterhält sich die Chefin gerade mit einem der Elektriker, die seit einer guten Stunde hier aktiv sind. Ich bekomme noch mit, wie er mitteilt, dass er die durchgebrannten Teile erst besorgen müsse und dass die Reparatur etwa 35.000 Quetzales kosten würde, das sind umgerechnet über 4.000 Euro. Die ansonsten so souveräne Lodge-Chefin bekommt Tränen in die Augen, verständlich, denn das ist hier verdammt viel Geld und dazu kommt noch die Aussicht, dass das Ganze wohl einige Zeit dauern wird. Und in dieser Zeit werden aufgrund des Höllenlärms kaum Gäste kommen.

So habe ich das wirklich nicht gewollt, sage ich beschämt zu meinem Gott der Ruhe.

Land:Guatemala
Ort:Rio Dulce
Reisedatum:21.11.2023 - 22.11.2023
Autor:Manuel Sterk
Veröffentlicht:01.12.2023
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